NICHTHIER – Veranstaltungstipp fürs Wochenende

Als ich 2004 nach Münster kam, begegnete ich einer Literatin an vielen Orten: Annette von Droste-Hülshoff. 2007 dann brachte ich mit der Schauspielerin Cornelia Kupferschmid und dem Musiker/Sounddesigner Kai Niggemann „Aber ich entschwand“ auf die Kellerbühne des Pumpenhauses, einen Monolog aus dem Briefwechsel zwischen der Droste und Levin Schücking. Mich fasznierte ihre Sprache und ihr Wesen, das zwischen den Welten wandelte – wie ich es von Figuren aus Ingeborg Bachmanns Texten kenne.

Am kommenden Wochenende (25. August 2017, 20 Uhr)  feiert die musikalische Performance NICHTHIER auf der Burg Hülshoff Premiere, die sich auf ganz eigene Weise der Schriftstellerin Droste-Hülshoff und ihren vorherrschenden Themen widmet. Ich habe bei Regisseurin Sabine Loew und Dramaturgin Heike Kortenkamp nachgefragt, was uns bei der Veranstaltung erwartet – die übrigens im September auch in Recklinghausen zu sehen sein wird.

Ihr bezeichnet NICHTHIER als Performance. Worauf müssen sich eher klassische Theatergänger und Droste-Fans einstellen?

Heike: Wir nennen es Performance, weil wir keine klassische Narration verfolgen. Die Darsteller*innen spielen keine Figuren, die eine Handlung/einen Konflikt durchleben. Droste-Gedichte-Leser*innen müssen sich nicht im Schlamm wälzen, die Darsteller*innen tun das auch nicht. Keiner verletzt sich, es läuft kein echtes Blut, wie vielleicht bei Marina Abramovi?. Wir verwenden den Begriff, um uns vom klassischen Theater abzugrenzen. Niemand soll damit rechnen, dass eine der Performer*innen zum Beispiel in die Rolle der Annette von Droste-Hülshoff schlüpft, oder in die der Künstler*innen, die wir interviewt haben. Keine Figuren, keine Handlung.

Es gibt nur „echte“ Bedingungen, die der Raum der Vorburg zum Beispiel an uns stellt und mit denen wir umgehen müssen. Wir kreieren etwas in diesen wirklichen Raum mit seinen Bedingungen und überschreiben ihn partiell. Es ist kalt, es gibt feuchten Sand. Damit müssen die Performer*innen umgehen und mit der Kälte auch die Zuschauer*innen. Wir haben ein Sofa als Zitat des Droste-Sofas in den „Stall“ hineingestellt. Der Raum ist aber so stark, dass das Sofa wirklich auch nur als ein Zitat zu lesen ist, nicht als Raumgestaltung.

In den ausgewählten Texten geht es unter anderem um Sehnsuchtsorte, Heimat, Ankommen und Weggehen. Wie würdest du den Heimatbegriff der Droste beschreiben?

Heike: Die Texte von Annette von Droste-Hülshoff haben einen zentralen Stellenwert in unserer Arbeit eingenommen, weil ihr Leben und Werk sehr deutlich durch Bezüge zu Räumen, Orten und Landschaften gekennzeichnet ist. Sie als „Westfälische Heidenachtigall“ aufzufassen, würde sie verharmlosen und romantisieren. Ihre Texte sind niemals beschaulich, im Gegenteil – sie inszeniert Brüche, Abgründe, sie lässt Heimatliches in Unheimliches münden. Ihr Heimatbegriff impliziert immer auch einen Begriff von Fremdheit, Konstruktion von Raum, Irritation und Auflösung. Wir bewegen uns auf sandigem, schlammigem, Boden, im trüben Licht, in der Dämmerung, im Nebel, im Grauen, an Grenzen, Schluchten, Klippen und so weiter. Hinzu kommt, dass sie immer auch ein lyrisches Ich in diese Räume einschreibt. Ein Subjekt, das sich in einem entworfenen Raum bewegt. Das macht ihre Texte so theatral.

Und was bedeutet als Künstlerinnen Heimat für euch?

Sabine: Ich lebe in Frankfurt am Main und seit 20 Jahren hin und wieder auch in Basel. Aufgrund meines Berufes bin ich seit Jahren immer wieder an anderen Orten, sodass für mich der Begriff Heimat nicht greifbar ist. Heimat bezieht sich für mich nicht auf ein Land, eine Stadt, das ist mehr ein Gefühl, ein Konstrukt, das ich mit anderen gemeinsam herstellen muss.

Heike: Ich bin in Recklinghausen geboren und aufgewachsen, ich habe Westfalen nie verlassen, habe hier studiert, gearbeitet, meine Familie lebt hier, mein Mann, meine Kinder. Ich kenne aber viele Künstler*innen, die hier weg wollten, die in New York, Perugia, Berlin, Rotterdam, Paris und so weiter den Ort gefunden haben, an dem sie arbeiten wollen. Junge Leute, die mit Kunst zu tun haben, wollen hier nicht bleiben, weil ihnen die Möglichkeit fehlt, an Diskursen teilzuhaben. Ich werde auch noch einmal weggehen, für eine Zeit, aber wiederkommen. Ich will mal wissen, wie es in Berlin ist. Für mich ist Heimat auch „Schneckenhaus“, die Möglichkeit, mich zurückzuziehen, ohne von den anderen vergessen zu werden. Wenn ich mich zu lange aus allem raushalte, kommen sie vorbei. „Heimat“ betrachte ich ebenso wie „Fremde“ als Sehnsuchtsort und das Nicht-Ankommen als meine Bestimmung.

Wie hast du dich als Regisseurin der Droste bei der Vorbereitung genähert?

Sabine: Ich habe Biografien gelesen, einige Gedichte und Briefe, die Burg Hülshoff besucht, das Rüschhaus, bin nach Münster gefahren und habe mit dem Droste-Experten Dr. Jochen Grywatsch gesprochen, mir ihre Arbeiten zeigen lassen, ihre Schriftspur, ihre Lebens- und Schaffensspur. Ich habe in der Vorbereitungszeit immer das Projekt im Kopf, egal was ich mache, gehe viel spazieren, schaue mir Ausstellungen an, höre Musik, lese, die Worte Sehnsuchtsort, Heimat, Ankommen, Weggehen, Identität, im Gepäck und anderes mehr, so sammle ich Eindrücke, Gedanken, blicke auf das, was mich umgibt, mit ganz anderen Augen, sehe alles wie durch eine Gedankenbrille und entwickle einen Gedankentrampelpfad hin zu den Proben.

Welche Rolle spielt die Musik in der Performance?

Heike: NICHTHIER ist eine musikalische Performance.  Droste-Fans dürfen sich also auf einen äußerst musik-betonten Zugang zu den Texten freuen. David Kirchner lässt sich von Inhalten, von der Form, von den Atmosphären der Gedichte treiben und kommentiert unsere Text-Auswahl mit sehr unterschiedlichen Sounds. Auch die Darsteller*innen haben einen ganz eigenwilligen Zugang zu den Gedichten. Es ist schwer, Gedichte auf der Bühne darzubringen. Wir wollen sie ja nicht klassisch rezitieren. Wir experimentieren mit den Gedichten, suchen nicht nur nach dem, was sie uns heute zu sagen haben, sondern auch nach ihrem Klang.

Die Schauspielerin Kathrin-Marén Enders wird in NICHTHIER auch gebärden. Wie setzt ihr die Gebärdensprache in der Performance ein?

Heike: NICHTHIER beschäftigt sich –wie gesagt – mit einer unter Künstler*innen weit verbreiteten „Sehnsucht nach anderen Orten“, Orten, die gleichzeitig Heimat, Ankommen, Zugehörigkeit, aber auch Aufbruch, Inspiration, Reibung und Erfolg verheißen. Und weil wir immer am „falschen“ Ort sind, weil wir entweder Sehnsucht oder Heimweh haben, nennen wir es NICHTHIER und erkennen, dass die Ferne, das Andere ebenso eine Projektion ist, wie die vermeintlich bekannte Heimat, das Eigene. Um das Andere, das dem Eigenen immer innewohnt zu inszenieren, haben wir eine Gebärdensprecherin gesucht. Der Gebärde wohnt das ANDERE inne. Die Welt ist Klang und Stille gleichzeitig und wir verstehen das eine wie das andere alle verschieden.

Außerdem geben wir Gehörlosen so die Möglichkeit, großen Passagen der Performance zu folgen und Texte von Annette von Droste-Hülshoff zu hören.

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Außer Texten der Droste werden zu hören sein:

Sibylle Berg, Thomas Espedal, Djuna Barnes, Rainhald Goetz, Magdalena Freund/Malerin,  Joop van Reeken/Fotograf,  Christa Maria Kirch/Konzeptionskünstlerin, Klaus Cordes/Kollagenkünstler und Autor, Anke Hochgartz/Fotografin, Josef Pepe Pölting/Grafiker,  Peter Kallwitz/Fotograf, Walter Witek/Bildhauer, Monika Voss/Malerin,  Norbert Then/Bildhauer, Almuth Herbst/Opernsängerin,  Jörn Klare/Autor und Journalist,  Judith Kuckart/Autorin, Regisseurin, Tänzerin, Christine Sommer  /Schauspielerin,  Danuta Karsten/bildende Künstlerin – sowie Texte des Regieteams.

Weitere Termine:

26.08.2017 | 20:00 Uhr | Burg Hülshoff
27.08.2017 | 20:00 Uhr | Burg Hülshoff
15.09.2017 | Ruhrfestspielhaus Recklinghause

Text und Dramaturgie: Heike Kortenkamp
Regie und Video: Sabine Loew
Bühne und Kostüme: Cornelia Falkenhan
Komposition und musikalische Leitung: David Kirchner
Schauspiel und Musik: Liese Lyon und Bernd Kortenkamp
Schauspiel, Musik und Gebärdensprache: Kathrin-Marén Enders

Die Bilder wurden mir von der Produktion zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank dafür!

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