„Hannah Arendt“ und das Loyalitäts-Dilemma

Es gibt sicher mehr als eine Wahrheit. Unser Blick auf die Dinge hängt von vielem ab: unserer Erziehung, unseren Denkweisen und Erfahrungen, unserem persönlichen Umfeld und nicht zuletzt von dem Bild, das wir von uns selbst haben und haben möchten. Wahrheit ist eine Sache von Beziehungen und in diesem Sinne relativ.

Disclaimer: Diesen Text habe ich im Jahr 2013 unmittelbar als Reaktion auf die Verfilmung geschrieben und auf meinem damaligen Theaterblog veröffentlicht. Das Thema beschäftigt mich nach wie vor, auch wenn ich es leider bislang noch nicht geschafft habe, tiefer in die Schriften der Hannah Arendt einzusteigen. Los geht’s:

Darstellerische Ausdruckskraft

Der Film „Hannah Arendt“ von Margarethe von Trotta ist vielfach besprochen, Ahrendts Berichterstattung über den Eichmann-Prozess in den 1960er-Jahren für die Zeitschrift The New Yorker kontrovers diskutiert worden. Im Film werden maßgeblich vier Jahre aus dem Leben der Philosophin beziehungsweise Polittheoretikerin gezeigt.

Ich habe den Film am Wochenende geschaut und war sehr angetan davon. Vor allem hat mich neben der darstellerischen Ausdruckskraft der Protagonistin – unabhängig von den Bezügen zu real existierenden Figuren und Geschehnissen – die Darstellung der Beziehungen zwischen Hannah und ihren „drei Männern“, Ehemann Heinrich und die beiden engen Freunden Hans und Kurt, interessiert. Wie wird hier eine Figur gezeigt und welche Konflikte prägen ihre Beziehungen zu wichtigen Bezugspersonen?

Was bedeutet Loyalität?

Auf der Beziehungsebene steht Hannahs Loyalität auf dem Prüfstand. Zwei langjährige Freundschaften zerbrechen, weil sie zu ihren Überzeugungen steht. Sie sei zu klug, um nicht voraus gesehen zu haben, was ihre Veröffentlichung zum Eichmann-Prozess würde auslösen können, sagt ihr Mann Heinrich. Und er hat recht. Auch wenn sie sich im Film nicht direkt dazu äußert, ist tatsächlich davon auszugehen, dass sie negative Reaktionen auf ihre Haltung einkalkuliert hat. Ob sie ihr in dem radikalen Ausmaß vorher klar waren, bleibt offen.

Fest steht: Während sich Hans und Kurt von ihr verraten fühlen, besteht für sie selber gerade in ihrer klaren Linie ein hoher Wert. Zwei Interpretationen von loyaler Freundschaft prallen hier aufeinander: der Wunsch, in Schmerz und Verletzung verstanden zu werden, ja sogar die Forderung, diesen in gewisser Weise uneingeschränkt zu teilen, auf der einen Seite – Hannas Bedürfnis, ihre Wahrnehmung der Situation klar und direkt äußern zu dürfen, auf der anderen. Sie befindet sich in einem Dilemma, denn in ihrer Situation scheinen beide Haltungen unvereinbar zu sein.

Ebenen menschlicher Kommunikation

Die verschiedenen Ebenen menschlicher Kommunikation werden in diesem Konflikt sehr stark sichtbar. Auf Wort- und Textebene sind die Haltungen, die man Hannah unterstellt, nicht zu finden. In ihrer berührenden Abschlussrede im Film wird dies deutlich. In ihrer persönlichen Kränkung begeben sich ihre Kontrahenten allerdings gleich auf die Ebene der Textinterpretation, ohne sich dessen jedoch bewusst zu sein.

Die Verletzbarkeit verstellt ihnen den Blick, ihr Zugang zu dem Thema der Arendt-Schrift ist ein anderer als der von der Autorin intendierte. Während ihr sehr emotional begegnet wird, bleibt sie der philosophisch-sachlichen Ebene verhaftet – ein Umstand, der ihr als Arroganz ausgelegt und als abwertend empfunden wird. Eine Verständigung kann hier nicht gelingen und führt zwangsläufig zu immer stärker werdenden Eskalationen bis hin zum endgültigen Bruch.

Eine Frage der Konsequenz

Die für mich spannende Frage des Films lautet daher nur auf den ersten Blick, wie das Verhalten Eichmanns im Kontext der Naziverbrechen einzuordnen sei. Darüber hinaus wirft sie den Betrachter über die Figur der Hannah viel deutlicher auf sich selbst zurück: Bist du dazu in der Lage, alles – allem voran selbst deine Freundschaften, also deine persönlichsten Bezugpersonen – zu riskieren, um zu deiner Überzeugung zu stehen oder nicht? Hättest du die Courage, dich den Erwartungen Einzelner oder sogar deines gesamten Umfeldes entgegenzustellen?

Der Freundschaftsdienst, den Hannah Hans und Kurt gegenüber leistet, ist ein Wagnis. Obwohl sie sicher weiß, dass sie sie verletzen wird und die Konsequenzen daraus nicht voraussagen kann, tritt sie ihnen mit ungeschönter Ehrlichkeit entgegen. Für sie der einzig gangbare Weg. Ihre beiden Freunde verliert sie durch diesen Schritt.

Dass diese Haltung auch zu stabilen Beziehungen führen kann, zeigt sich in ihrer Beziehung zu ihrem Ehemann Heinrich. Er teilt ihre moralischen Werte von Eigenverantwortung und Authentizität. So wie sie ihn in einer vorherigen Szene nicht für seine Auffassungen verurteilt oder ablehnt, so steht er am Ende auch an ihrer Seite.

Mutiger Weg

Der Clou des Films besteht für mich in der Verknüpfung der verschiedenen Ebenen. So wie Eichmann in gewisser Weise exemplarisch zum Symbol wurde für ein brutales und vernichtendes System, so wird auch Hannah in diesem Film Stellvertreterin eines jeden Einzelnen innerhalb der damaligen Nachkriegsgesellschaft – letztlich bis heute. Dass die Geschichte dabei die Figuren Hans und Kurt ebenso ernstnimmt und für mich nachvollziehbar zeichnet wie die Hauptfigur, ist eine besondere Stärke des Films.

Die Frage nach der moralischen „Mitschuld“ des Einzelnen stellt sich nicht erst, wenn ganze Völker in Gefahr geraten. Sie stellt sich viel früher in persönlichen Beziehungen. Antworten auf die Fragen, die der Film stellt, muss der Betrachter für sich selber finden. „Hannah Arendt“ zeigt einen möglichen, einen mutigen Weg.

 

Titelbild: Im Mai 2015 besuchte Regissuerin Margarethe von Trotta das Münstersche Kino Schlosstheater und stellte ihren Film „Die abhandene Welt“ persönlich vor. Sie führte auch bei „Hannah Arendt“ Regie. (Foto: Edda Klepp 2015)

 

 

 

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