Ich erinnere mich an eine Szene aus meiner Theaterzeit während meines Studiums. Damals hatte ich bereits mehrere Praktika gemacht, war begeistertes Mitglied des Extra-Chors – eine Gruppe ambitionierter Amateur:innen, die den Profi-Chor bei größeren Produktionen verstärkten – und stand regelmäßig mit auf der Opernbühne. Viele Künstlerinnen und Künstler sahen in uns eher Statist:innen. Wir wurden freundlich toleriert, aber von vielen nicht weiter beachtet.
Echtes Interesse oder Fake?
Nach meinem Studienabschluss bekam ich einen Zweijahresvertrag als Regieassistentin am selben Theater. Und mit der neuen Position wurde ich anders wahrgenommen. Plötzlich hielt mir eine Kollegin aus dem Profi-Chor – eine, die mich vorher kaum eines Blickes gewürdigt hatte – freundlich die Tür auf. Sie lächelte, fragte, wie es mir gehe, und war plötzlich erstaunlich interessiert an meinen beruflichen Ambitionen.
Diese Szene hat sich eingebrannt. Und sie war mit einer Frage verbunden, die mich bis heute begleitet: Wie unterscheide ich echtes Interesse von gespieltem?
Damals spürte ich sofort, dass die Person nicht wirklich an mir und dem persönlichen Austausch interessiert war. Sie hatte Interesse an meiner neuen Rolle und an möglichen Vorteilen, die daraus erwachsen könnten. Kein Wunder, denn früher oder später bekommst du als Regieassistentin die Chance, selbst Projekte auf der Bühne zu realisieren.
Die Erfahrung hat mir sehr klar gezeigt, wie unterschiedlich Menschen mit anderen umgehen, wenn sie plötzlich einen Nutzen erwarten. Auch später konnte ich das im Berufsleben beobachten. Man sagt ja: Du erkennst eine Führungspersönlichkeit daran, wie sie mit Menschen ohne Einfluss spricht. Entweder sie begegnet ihnen grundsätzlich mit Respekt oder sie tut es selektiv, nur dann, wenn es nützt.
Genau das aber ist der Punkt: Echtes Netzwerken hat nichts mit Berechnung zu tun, sondern mit Werten wie Wertschätzung und Wahrhaftigkeit.
Netzwerken ist kein Karriere-Trick
Das Wort „Netzwerken“ hat für viele einen Beigeschmack. Es klingt nach Strategie, nach Zielorientierung, nach Plan. Nach Menschen, die auf Veranstaltungen herumgehen, Visitenkarten verteilen und möglichst viele Kontakte knüpfen wollen. Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille.
Natürlich ist nichts daran falsch, strategisch zu denken. Strategie allein, ohne ehrliches Interesse an einem Austausch – ohne Geben und Nehmen – wirkt allerdings nicht nachhaltig. Und wenn das Ziel lautet, möglichst viele Namen in einer Liste zu haben, verliert das Netzwerken seine Substanz. Dann geht es nicht mehr um Beziehungen, sondern um Reichweite. Das wirkt beliebig. Und das ist es wahrscheinlich auch.
Netzwerken ist keine Trickserei, kein bloßes Karrierewerkzeug, sondern ein Geflecht aus sozialen Beziehungen, getragen von Neugierde, Vertrauen und Gegenseitigkeit. Die wertvollsten Kontakte entstehen nicht dort, wo du etwas willst, sondern dort, wo du anderen wirklich begegnest.
Wer lediglich auf den eigenen Vorteil aus ist, wird selten echte Unterstützung erfahren. Und wenn doch, wird die Bereitschaft dazu bald nachlassen. Wer aber mit offenem Interesse auf andere zugeht, baut tragende Beziehungen auf, die auch in schwierigen Zeiten Bestand haben.
Warum Netzwerken heute so wichtig ist
Wir leben in einer Zeit, in der Lebensläufe seltener gerade verlaufen. Menschen wechseln Branchen, gründen, pausieren, beginnen neu. Projekte entstehen nicht mehr allein in Unternehmen, sondern in Kooperationen, Communities, Netzwerken. In dieser Welt sind Beziehungen kein „Nice-to-have“ mehr, sondern ein entscheidender Erfolgsfaktor. Nicht, weil man die Person kennt, die „Türöffner“ ist, sondern weil man in Resonanz mit anderen geht.
Netzwerke bieten Orientierung, Unterstützung und Inspiration. Und manchmal einfach das gute Gefühl, nicht allein zu sein. Gerade in Momenten des Umbruchs sind sie wie Sicherheitsnetze, die auffangen, aber auch herausfordern.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat Zahlen veröffentlicht, nach denen knapp jede dritte Neueinstellung (etwa 30 Prozent) in Deutschland über persönliche Kontakte erfolgt. Der Anteil ist bei Kleinbetrieben höher, dort sind es sogar bis zu 47 Prozent. Das bedeutet: Chancen entstehen dort, wo Vertrauen existiert.
Beziehungsaufbau statt Zweckdenken
Das gilt es zunächst aufzubauen. Im Laufe meiner beruflichen Jahre habe ich viele inspirierende Menschen kennengelernt – in Redaktionen, Agenturen, auf Messen, bei Events. Und mir fällt immer wieder dasselbe auf: Diejenigen, die echtes Interesse zeigen, bleiben im Gedächtnis. Das lässt sich nicht simulieren. Du merkst, ob dir eine Person zuhört, weil sie wirklich aufgeschlossen ist, oder nur, weil sie gleich viel lieber selbst etwas erzählen möchte.
Statt „Was machst du beruflich?“ führen die folgenden Fragen auf eine persönliche Ebene:
- „Wie bist du dahin gekommen?“
- „Was begeistert dich an dem, was du tust?“
- „Was hast du gelernt auf deinem Weg?“
Ein solcher Austausch ist die Basis, die langfristige (Berufs-)Beziehungen ermöglicht. Die offenen Fragen öffnen Räume. Sie führen zu Geschichten, nicht zu Lebensläufen. Und genau dann entsteht eine Verbindung – nicht in den Buzzwords eines Elevator Pitches.
Strategisch denken, menschlich handeln
Echtes Interesse allein reicht natürlich nicht, wenn du berufliche Netzwerke aufbauen möchtest. Dafür solltest du wissen, wohin du willst und wer auf diesem Weg wertvolle:r Wegbegleiter:in sein kann. Ich halte viel davon, strategisch zu denken, aber menschlich zu handeln. Das bedeutet: Ziele verfolgen, aber flexibel bleiben. Chancen sehen, aber Menschen nicht auf ihren Nutzen reduzieren. Zumal du nicht wissen kannst, wohin sich eure Lebenswege einmal entwickeln.
Ein gutes Netzwerk ist kein Markt, auf dem lediglich Angebote ausgetauscht werden. Es ist ein Organismus, der wächst, wenn man ihn pflegt. Wer regelmäßig gibt – Impulse, Kontakte, Empfehlungen –, wird irgendwann auch davon profitieren. Manchmal kommt die Unterstützung nicht direkt zurück, sondern über Umwege. Aber sie kommt. Was du aussendest, kommt auf die eine oder andere Weise wieder zu dir.
Führung heißt auch: nach innen netzwerken
Oft wird über Netzwerken nur im Außen gesprochen. Es zählen Kontakte, Sichtbarkeit und Kooperationen. Die wichtigste Form des Netzwerkens aber findet im Inneren statt: in der eigenen Organisation, im eigenen Team. Führungskräfte sind die Knotenpunkte interner Netzwerke. Sie verbinden Menschen, Informationen, Perspektiven – und schaffen Räume, in denen Vertrauen wachsen kann.
Wer führt, sollte sich also dieselben Fragen stellen wie beim externen Netzwerken:
- Habe ich echtes Interesse an den Menschen, mit denen ich arbeite?
- Pflege ich Beziehungen – oder verwalte ich sie nur?
- Höre ich wirklich zu und bin bereit, auch etwas von mir zu teilen?
Was nach außen Glaubwürdigkeit schaffen möchte, sollte innen anfangen mit ehrlichem Interesse, gelebter Wertschätzung und verbindlicher Kommunikation.
Ein Aspekt, der dabei oft unterschätzt wird, ist das Offboarding. Wenn sich Wege trennen, zeigt sich, wie echt eine Beziehung war. Wird eine Person verabschiedet, weil sie das Unternehmen verlässt oder weil sie plötzlich keinen Nutzen mehr bringt? Wer in solchen Momenten respektvoll bleibt, zeigt wahre Größe. Wie du gehst oder andere gehen lässt, sagt mehr über die Beziehungskultur aus als jedes Leitbild.
Gute Führungskräfte wissen: Netzwerken endet nicht mit dem Arbeitsvertrag. Sie bestehen fort, in Form von Vertrauen, Empfehlungen und der Pflege des guten Rufs.
Wie gutes Netzwerken in der Praxis aussieht
Für den Aufbau eines beruflichen Online-Netzwerkes ist LinkedIn für mich ein geeigneter Ort. Hier kannst du dich mit spannenden Menschen austauschen, interessanten Topics folgen und auch selbst Content teilen – wenn du es richtig machst. Es geht nicht darum, jeden Tag neue Kontakte zu sammeln, sondern in Gespräche einzusteigen, Wert zu stiften und sichtbar zu werden.
Ich kommentiere Beiträge, die mich wirklich interessieren. Ich teile Inhalte, die andere inspirieren oder ihnen helfen könnten. Und ich schreibe Menschen an, wenn ich einen ehrlichen Anknüpfungspunkt sehe – etwa eine gemeinsame Erfahrung oder ein Thema, das uns beide beschäftigt. Ein einfacher Kommentar wie „Das erinnert mich an …“ kann der Beginn eines authentischen und wertvollen Austauschs sein.
Offline bieten sich Veranstaltungen wie Kongresse und Fachtreffen sowie Messen zum Netzwerken an. Sie sind passende Gelegenheiten, um Menschen jenseits von Profilbildern zu begegnen. Frage dich dabei: Was kann ich für andere tun? Nicht zuerst: Was können sie für mich tun? Stelle Fragen und teile hier und da dein Wissen. Meiner Erfahrung nach kommen solche „Investitionen“ früher oder später multipliziert zu dir zurück.
Natürlich solltest du dich nicht ausnutzen lassen. Wer achtsam ist, merkt jedoch schnell, wo Gegenseitigkeit gelebt wird und wo nicht.
Netzwerken für Introvertierte
Nicht allen fällt es leicht, sich in der Offline-Welt zu bewegen, zum Beispiel weil sie eher introvertiert sind. Wer sich in großen Gruppen unwohl fühlt, kann klein anfangen: Ein Gespräch auf einer Veranstaltung. Eine gezielte Nachricht an jemanden, den man spannend findet. Oder ein kurzer Kommentar unter einem Beitrag. Echtes Netzwerken braucht keine Bühne, es braucht in erster Linie eine Form von Präsenz. Und zwar eine, die zu dir, deinen Ressourcen und deinem Lebensstil passt.
Die Szene am Theater hat mich gelehrt, dass Rollen sich ändern können, dass echtes Interesse aber immer stabiler ist als ein Status. Manche Menschen sind nur freundlich, wenn du etwas darstellst. Andere sind freundlich, weil sie deine Persönlichkeit schätzen. Der Unterschied ist gewaltig.
Ich möchte Menschen nicht nur treffen, wenn sie mir nützlich erscheinen. Ich möchte verstehen, was sie antreibt, was sie bewegt, was sie lernen oder verändern wollen. Ehrliches Netzwerken ist eine Sache der Haltung. Eine, die auf Neugier, Respekt und Vertrauen gründet. Wer mit dieser Haltung durchs (Berufs-)Leben geht, baut Netzwerke, die bleiben – auch wenn sich die Rollen ändern.
Die Sache mit dem Rucksack
Und manchmal entstehen Verbindungen aus ganz unscheinbaren Momenten. Bei der Fußball-EM 2024 arbeitete ich als Volunteer im Medienteam im Dortmunder Fußballstadion. Wir bekamen grüne Rucksäcke als Dankeschön, die akkreditierten Journalist:innen dagegen rote – und ich fand die roten einfach wunderschön.
Ein Jahr später erzählte ich das jemandem, den ich bei einer anderen Veranstaltung getroffen hatte. Er lachte und sagte: „Ach, ich hab noch einen zu Hause, originalverpackt. Ich bringe dir den mit.“ Und tatsächlich: Einige Wochen später hielt ich diesen roten Rucksack in den Händen.
Für mich war das ein kleiner, aber sehr berührender Moment. Nicht, weil ich endlich diesen Rucksack hatte, sondern weil dieser Mensch aufmerksam war und an mich gedacht hat. Weil es ihm wirklich ein Anliegen war, mir eine Freude zu bereiten. Solche Gesten bleiben.
Und dieser Mensch bleibt mir in Erinnerung – wegen der Werte, die Rucksack transportiert hat.
Die Begegnung am Theater war für mich damals irritierend. Heute bin ich dankbar dafür. Sie hat mir gezeigt, wie ich nicht sein will und was mir wirklich wichtig ist: Menschen, die Wahrhaftigkeit leben. Gespräche, die bleiben. Verbindungen, die tragen.
Welche Erfahrungen hast du mit dem Aufbau beruflicher Netzwerke gemacht? Schreib es in die Kommentare!

