Die Verfilmung ist schuld. Mehr aus Langeweile klickte ich vor einer Weile in der ARD-Mediathek den Film „Schoßgebete“ an. Es war spät, aber ich konnte mich noch nicht aufraffen, ins Bett zu gehen. Dass die wunderbare Lavinia Wilson und Jürgen Vogel in dem Film die Hauptrollen spielen, hatte ich irgendwann gelesen, mir aber nicht gemerkt. Obgleich ich dachte, dass ich ohnehin nur eine halbe Stunde durchhalten würde, schaute ich den Film bis ganz zum Ende an. Einen Tag später kaufte ich das Buch.
Drastische Schilderungen
Die Bücher von Charlotte Roche umgibt eine ganz besondere Aura. Bereits „Feuchtgebiete“ hatte eine Flut an Rezensionen provoziert, die zwischen schierer Begeisterung und angeekelter Ablehnung zahlreiche Facetten zu bieten hatten. Um das vorwegzunehmen: Mir hat das erste Buch der Autorin sehr gut gefallen. Ich fand bestimmte Passagen, die manch einen ganz besonders empörten, schlicht und ergreifend interessant. Geekelt habe ich mich kaum. Bei der Verfilmung der „Feuchtgebiete“ war das anders.
Vielleicht hatte ich bei Schoßgebete nun einen ähnlichen Effekt erwartet. Diese Geschichte kommt zwar ebenfalls drastisch daher, die dahinter liegende Ernsthaftigkeit allerdings ist wesentlich schneller zu erfassen. Während bei der einen („Feuchtgebiete“) lieber darüber diskutiert wurde, ob und was Literatur überhaupt in Sachen Ekel braucht und darf, hängte sich nun bei „Schoßgebete“ alles an Roches Biografie auf, die sie in dem Buch verarbeitet hat. Für viele scheint beides nicht zu trennen.
Erzählung in der Rückschau
In dem Buch geht es um eine Frau, die bei einem schlimmen Autounfall drei ihrer Geschwister verloren hat. Ihre Mutter wird bei dem Unfall schwer verletzt. Ein Umstand, der das Trauma noch verstärkt: Sie alle waren auf dem Weg zu der Hochzeit von Elisabeth. Über dieses Schuldgefühl kommt sie nicht hinweg.
In der Zeit, in der die Erzählung einsetzt, liegen diese Ereignisse bereits Jahre zurück. Elisabeth hat eine Tochter, sich aber von dem damaligen Verlobten, dem Kindsvater, getrennt. Seither ist sie in psychotherapeutischer Betreuung.
Mit dem neuen Mann an ihrer Seite pflegt sie eine innige, in Teilen aber auch selbstzerstörerische Beziehung. Die Sexualität spielt dabei eine große Rolle. Das Paar besucht regelmäßig gemeinsam Prostituierte – wobei Elisabeth zwischen eigener Lust und dem Wahn, die Wünsche und Fantasien ihres Mannes auf jeden Fall erfüllen zu müssen, changiert.
Eindringliches Psychogramm
Roches Schilderungen sind schonungslos und wirken authentisch. Ein Effekt, der – und da bin ich im Gegensatz zu anderen Rezipienten sicher – auch ohne das Wissen um das persönliche Schicksal der Autorin eintreten würde. Was als Skandalbuch mit einer detailliert geschilderten Sexszene beginnt, wandelt sich spätestens nach der Schilderung des Unfalls zum eindringlichen Psychogramm einer Frau, die verzweifelt versucht, sich selbst durch den unerträglichen Schmerz spüren zu können.
Die Angst vor einem weiteren Verlust, den sie möglicherweise nicht überleben würde, treibt sie in die Extreme. Einen Ausweg aus dem Trauma sieht sie nicht.
Mich hat das „Schoßgebete“ tief berührt, als Buch und als Film. Ich kann daher auch in diesem Fall nur eine klare Leseempfehlung aussprechen.