Das neue Buch von Vera Nentwich, „Wunschleben“, ist anders als ihre bisherigen. In dem Roman verarbeitet sie sehr persönliche Erfahrungen aus ihrem Leben als Transgender-Frau. Mich hat die Geschichte sehr berührt. Ich hoffe, dass sie viele Leserinnen und Leser findet.
Bretter, die die Welt bedeuten
Irgendwie anders, so könnte man Vera Nentwich beschreiben. Sie ist gewitzt, vielseitig, kreativ und engagiert. Wer sie einmal selbstbewusst in einer Barcamp-Session oder in der Selfpublishing-Area auf der Frankfurter Buchmesse erlebt hat, wird sich kaum vorstellen können, dass es eine Zeit gab, während der sie sich kaum nach draußen wagte.
Vera ist eine „Rampensau“, wie wir Bühnenmenschen sagen. Sie liebt es zu singen, zu lesen und – neuerdings! – ihr komisches Talent als Kabarettistin zu zeigen. Ich bewundere das! Die Bücher, die sie bislang veröffentlicht hat, sind Liebesromane und heitere Krimis. Und jetzt also „Wunschleben“, eine Geschichte, die für das ZDF als kleines Fernsehspiel verfilmt werden könnte.
Darum geht’s im Buch
Anja, die Protagonistin des Romans „Wunschleben“ pflegt ein zurückgezogenes Dasein. Sie hat sich vor längerer Zeit als Transgender-Frau geoutet und sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen. Nun beobachtet sie mit Argusaugen, wie sie auf andere wirkt. Sieht man es ihr an? Wie wird die Umgebung auf sie reagieren?
Unter diese Unsicherheiten mischen sich auch Selbstzweifel. In ihrer Fantasie hatte sie sich alles so wundervoll vorgestellt: Endlich wollte sie eine „richtige“ Frau sein, mit allem, was dazu gehört. Doch sind ihr aufgrund ihrer Vorgeschichte Grenzen gesetzt, an die jede andere Frau, die mit einem weiblichen Körper geboren wurde, nicht im Traum denkt.
Realität trifft auf Wunschvorstellungen
Wie Vera auf dem Frauenbarcamp in Bonn Anfang September berichtete, ist die Phase nach der Operation die eigentliche Herausforderung. Nun weichen die schönen Wunschvorstellungen und der Alltag hält Einzug. Wenige Jahre nach der Angleichung sei die Selbstmordrate von Transgender-Menschen am höchsten, sagte sie. Die Erkenntnis, dass sich manche Wünsche nie erfüllen werden, trifft ins Mark.
Nun könnte „Wunschleben“ ein tragischer und melancholischer, wenn nicht sogar ein extrem trauriger Roman sein. Doch Vera wäre nicht Vera, wenn sie nicht hier und da ihren gewohnten Humor durchblitzen ließe. Die Handlung beginnt mit einer Begegnung: Weil Anja ihren Schlüssel und das Handy in der Wohnung vergessen hat, ist sie gezwungen, bei einer Nachbarin zu klingeln – und trifft auf Bettina.
Die lebenslustige Frau, die so ganz und gar normal und freundschaftlich auf Anja reagiert, reißt sie aus ihrer Lethargie und gibt ihr die Chance, sich ihren Ängsten zu stellen. Gemeinsam mit Bettina wagt sich Anja aus dem Haus und unter Menschen. Eine aufregende Reise zu ihr selbst beginnt.
Wunschleben für alle!
Wie viel Vera in Anja tatsächlich steckt, verrät sie nicht. Nur so viel: Einige der geschilderten Szenen hat die Autorin selbst erlebt. Im Buch verquickt sie Reales und Erdachtes zu einer berührenden Geschichte, die ruhig noch etwas länger hätte ausfallen können.
Wollte man „Wunschleben“ in eine Schublade einsortieren, fällt mir am ehesten die Kategorie Entwicklungsroman ein. In gewisser Weise erleben Transgender-Personen während der Angleichung so etwas wie eine zweite Pubertät. Die Fragen, die sich Anja stellen, sind universal: Wer bin ich? Was macht mich aus? Und was macht uns zu Männern oder Frauen?
Fazit
Ich glaube, dass alle Versuche, Menschen in Kategorien und Schubladen zu stecken, scheitern müssen. Es gibt so viel mehr als Schwarz und Weiß. Und es gibt mehr als zwei Geschlechter. Irgendwie anders, davon bin ich überzeugt, sind wir letztlich alle. Nicht jeder traut sich allerdings, es auch zu zeigen.
Es tut gut zu lesen, wie Anja aus ihrem Schneckenhaus kommt und das Leben für sich entdeckt. Und es tut gut, einen Menschen wie Vera zu kennen, die mich mit guter Energie und klugen Gedanken immer wieder inspiriert.
Lesen!
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An dieser Stelle möchte ich auf Veras Crowdfunding-Kampagne aufmerksam machen. Sie möchte ihren Krimi „Tote Models nerven nur“ als Hörbuch einlesen und wünscht sich dafür unsere Unterstützung. Mehr dazu erfährst du hier bei Startnext. Das Crowdfunding läuft bis zum 30. November 2018.
Klasse, das ist doch mal eine klare Aussage zu Vera’s letztem (und bestimmt nicht
letzten) Buch !! Meine Frau und Vera’s Mutter sind Schwestern, die sich sehr gut
verstehen. Wir konnten die Wandlung von Werner zu Vera mitverfolgen und sind
mit Mutter Mia stolz auf das, was Vera bis heute erreicht hat !! „Wunschleben“ ist
ein mutiges Buch und wird sicher vielen Menschen Mut machen, sich nicht länger von den biederen Vorurteilen unserer Gesellschaft abschrecken zu lassen.
Vielen Dank für deine Rückmeldung. Es freut mich, dass mein Text euch angesprochen hat. 🙂 LG, Edda
Toller Beitrag!