Im Reich der Täufer

Uraufführung am Borchert-Theater: Das neue Jerusalem

2017 jährt sich der Beginn der Reformationsbewegung zum 500sten Mal. Damals schlug der Theologe und Mönch Martin Luther seine 95 Thesen an die Tore der Schlosskirche in Wittenberg. Das Wolfgang-Borchert-Theater widmet sich zu diesem Anlass einem besonderen Kapitel der Reformation: dem Täuferreich.

Das Auftragswerk „Das neue Jerusalem“ von Arna Aley zeigt den Aufstieg der Wiedertäufer in Münster als Sinnbild religiöser Verklärung und Machtmissbrauch. In der Inszenierung von Meinhard Zanger wird eines deutlich: der Stoff ist hoch aktuell.

Ein Narrenspiel

Der rote Vorhang ist verschlossen, doch davor thront der Bischof Franz von Waldeck und hält Zwiesprache. Mit einer höheren Instanz – und vor allem mit sich selbst. Er ist verzagt, eine neue religiöse Bewegung macht ihm das Volk abtrünnig und rüttelt an seinem güldenen Stühlchen.

Neben von Waldeck hockt stumm das schwangere Mädchen Anna (Alice Zikeli). Die historische Anna Pohlmann hatte insgesamt acht Kinder mit dem Bischof. Im Stück ist es einer ihrer Söhne, der später noch eine entscheidende Rolle spielen wird.

Mit von Waldeck beginnt das Spiel, mit ihm wird es nach rund zwei Stunden enden – zu einem Zeitpunkt, da die Täufer noch nicht besiegt oder angeklagt, über den Zenit ihrer Macht jedoch schon hinaus sind.

Monika Hess-Zanger scheint die Rolle des Bischofs auf den Leib geschrieben. Großartig vollbringt sie den Spagat zwischen scharfem Witz und Ernsthaftigkeit, ein doppelbödiges Vergnügen. Damit setzt sie als eine Art Narrenfigur den Rahmen einer Inszenierung, die zwischen Brecht‘schem Drama und präzisem psychologischem Spiel changiert.

Selbst ernannter König

Ihr Gegenpart, obschon sich Bischof und Täufer im Stück nicht treffen: Jan van Leiden, gespielt von Florian Bender. Er findet fast beiläufig in die Handlung, während Jan Matthys (Heiko Grosche), Bernhard Rothmann (Sven Heiß) und Bernd Knipperdolling (Jürgen Lorenzen) bereits fleißig Pläne schmieden.

Kaum betritt van Leiden das Parkett der Macht, geht alles recht schnell. Holzschnittartig zeigen die Szenen die Stufen der Machtergreifung: Verführung, Ermächtigung, Gleichschaltung, Unterdrückung – unter dem Mantel religiöser Verklärung.

Die Rollen sind klar verteilt. So zieht der charismatische van Leiden das Volk nach nur wenigen Zeilen in seinen Bann. Pflichtbewusst folgen Rothmann und Knipperdolling ihrem Anführer, Jan Matthys, der sich selbst als Prophet versteht, wird brutal ausgemustert.

Ein grauenhafter Höhepunkt ist die Szene, in der Knipperdolling – als Scharfrichter auf Geheiß des Königs van Leiden – seine eigene Frau richtet. Grauenhaft, weil Inhalt wie Darstellung unter die Haut gehen. Unterdessen vergnügt sich Heilversprecher van Leiden längst mit der Witwe Matthys‘ Divara (Jannike Schubert), er feiert Orgien und Festgelage.

Doppelmoral

Es ist die Doppelmoral, die sich durch das gesamte Stück zieht und die es gleichzeitig so aktuell macht. Wer waren die Wiedertäufer? Anführer, die sich auf religiöse Überzeugungen berufen, um ihre Interessen durchzusetzen? Religiöse Fanatiker, die im Glauben das Richtige zu tun, dem Rausch der Macht erliegen und das Volk manipulieren?

Die Bühne ist – einem griechischen Amphitheater nachempfunden – mal Marktplatz, mal Thronsaal. In zahlreichen Rollen sind Schülerinnen und Schüler der Schauspielschule der Keller in Köln als Chor zu sehen. Es ist selten, dass so viele Menschen die Bühne des Borchert-Theaters bevölkern.

Doch nicht nur darum lohnt sich der Besuch des Stücks. Zu keinem Zeitpunkt hebt Zanger den mahnenden Zeigefinger. In starken Bildern und mit großer Klarheit erzählt er eine Geschichte, die bis heute eng mit Münster verbunden ist.

Die nächsten Termine

Do 08.06.17 | 20:00 Uhr, Fr 09.06.17 | 20:00 Uhr, Sa 10.06.17 | 20:00 Uhr, So 11.06.17 | 18:00 Uhr, Fr 07.07.17 | 20:00 Uhr, Sa 08.07.17 | 20:00 Uhr, So 09.07.17 | 18:00 Uhr.

Mehr Infos unter www.wolfgang-borchert-theater.de.

 

 

Fotos: Klaus Lefebvre

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