Der Holocaust-Überlebende Leslie Schwartz: „Nur gemeinsam können wir uns vom Hass befreien“

Er ist Jahrgang 1930, wurde in Ungarn geboren und hat als Spross einer jüdischen Familie während der Zeit des Nationalsozialismus Schlimmes erleben müssen: der Holocaust-Überlebende Leslie Schwartz. Seit fünf Jahren erst gelingt es ihm, über die furchtbaren Erlebnisse zu sprechen, über den Verlust seiner Familie in der Gaskammer in Auschwitz, über Qualen und Hunger im Arbeitslager Dachau, über die Todesangst eng engepfercht im Todeszug von Mühldorf. Verheiratet ist Leslie Schwartz in zweiter Ehe mit einer Münsteranerin.

Auge in Auge mit Josef Mengele

Hübsch habe er in seiner Uniform ausgesehen, der berühmte KZ-Arzt Josef Mengele, erzählt Leslie Schwartz. Es ist Donnerstagabend und er ist Gast im Gemeindehaus in Hohenholte. Die KFD hat ihn zum Vortragsabend eingeladen. Im Raum herrscht absolute Stille. Niemand möchte auch nur ein Wort dessen versäumen, was Schwartz zu erzählen hat. „Ich wusste nicht, ob ich zu meinem Stiefvater soll oder zu meiner Mutter und meiner Schwester“, sagt er.

Zunächst habe er sich zu den Frauen und Kindern gestellt. „Aber viele dieser Leute haben geweint, da habe ich Angst bekommen.“ Rasch überlegt er es sich anders und läuft zum Stiefvater, zu dem er eigentlich kein besonders gutes Verhältnis hat. Eine Entscheidung, die dem damals 14-Jährigen das Leben rettet. „Meine Mutter und meine Schwester habe ich nicht wieder gesehen.“ Leslie Schwartz macht eine Pause und ringt um Fassung. Allein das Zuhören ist kaum auszuhalten.

Zwangsarbeit in Dachau

Die Gruppe der Männer wurde von Mengele genauestens inspiziert, er traf die Entscheidung, wer in ein Arbeitslager kam und wer nicht. „Wie alt bist du, fragte er mich, und ich sagte 17.“ Wieder eine Entscheidung in Sekundenbruchteilen. Wieder entkommt Leslie Schwartz nur knapp dem Tod. Als Zwangsarbeiter wird er schließlich nach Dachau gebracht. „In Auschwitz wurden die Leute jeden Tag kaputt gemacht, dagegen war Dachau ein Paradies“, urteilt er mehr als 70 Jahre danach.

Fünf Jahre ist es her, das Leslie Schwartz seine Geschichte zum ersten Mal einer Schulklasse in Deutschland erzählte. Seit den 80er-Jahren verbringen er und seine Frau je ein halbes Jahr in ihrer Heimat in Kinderhaus, die übrige Zeit des Jahres in New York, wohin er 1946 emigrierte. Max Mannheimer, den er aus der gemeinsamen Zeit in Dachau kennt, ermunterte ihn schließlich, das Schweigen zu brechen.

Wie eine Therapie

Mehr als 300 Vorträge in Gymnasien hat er seither gehalten, viele Fragen beantwortet. „Wieder in Deutschland zu sein, heißt für mich: an den Ort meiner schlimmsten Erinnerungen zurück kehren“, sagt Leslie Schwartz. „Aber in den letzten fünf Jahren habe ich so viel Liebe bekommen von den jungen Leuten. Ich nenne das meinen Heilungs-Prozess. Für mich ist das Erzählen wie eine Therapie.“

Noch immer kann er es kaum glauben, wie viel Aufmerksamkeit ihm seitdem zuteil wird. „Ich habe einen Brief von Angela Merkel bekommen“, sagt er. Interviews in großen Tageszeitungen erschienen in hoher Auflage. Eine Fernsehdokumentation über die Ereignisse im Frühjahr 1945 rund um den Todeszug von Mühldorf liegt ihm besonders am Herzen. Mehrere Schüler des Franz-Marc-Gymnasiums Markt Schwaben begeben sich in der Dokumentation mit ihm gemeinsam auf Spurensuche in den Archiven, sprechen mit Zeitzeugen und suchen die Orte des Geschehens auf.

Willkür und Luftangriffe

Mehrere Tage lang wurde Schwartz mit 3600 anderen Häftlingen in Waggons gepfercht und von Ort zu Ort verschleppt. Luftangriffe der Alliierten, die den Gefangenentransport irrtümlich für einen Munitionszug hielten, die Willkür von Wehrmachtssoldaten und Waffen-SS, die regelrecht Jagd auf die stark ausgehungerten Menschen machten – all das überlebte der Jugendliche. Eine Kugel trifft ihn in den Nacken und tritt auf der anderen Seite des Kiefers wieder aus.

Die Bilder der Todesopfer und Schwerverletzten lassen Leslie Schwartz bis heute nicht los. „Der Zug war voll von Toten“, erinnert er sich. In New York findet er nach Kriegsende schließlich wieder Familienanschluss. Mehrere Verwandte waren dorthin ausgewandert. Wirklich angenommen fühlt er sich dort nicht. „Meine Tante hat ihre eigenen Kinder so lieb gehabt. Ich aber fühlte mich schlimm, ich war nur ihr Neffe.“

Neue Lebensaufgabe

Mit seinen Vorträgen und Gesprächen mit Jugendlichen hat Leslie Schwartz nun eine neue Lebensaufgabe gefunden. Im September wird er auch in seiner Heimat Ungarn erstmals über die Verbrechen der Nationalsozialisten sprechen. „Ich wollte das nie machen, weil die so viele Probleme haben. Aber ich muss, die Jugendlichen wissen viel zu wenig von dem, was damals war“, sagt er.

Möglicherweise wird das Leben von Leslie Schwartz bald auch auf der Leinwand zu sehen sein. Derzeit wird an dem Drehbuch gearbeitet, berichtet er. „Ich hoffe, der Film wird gedreht. Dustin Hoffman soll Leslie Schwartz spielen.“

In seiner Rede zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 2013 dankte der Holocaust-Überlebende mit den Worten: „Meine große Angst war, dass wir einfach alle verschwinden. Als Überlebender fühle ich mich verpflichtet, Zeugnis abzulegen. Wir sind alle miteinander verbunden und nur gemeinsam können wir uns vom Hass befreien.“

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