[Rezension] Blaue Augen bleiben blau – Balian Buschbaum

Die Bahn ratterte genüsslich durch die Lande. Schon lange nicht mehr hatte ich mich für den Zug und gegen das Auto entschieden. Diesmal aber legte ich Wert darauf, meine Hände frei zu haben und den Blick gefahrlos durch die Landschaft streifen lassen zu können. Ich wollte, so hatte ich mir vorgenommen, die Zeit nutzen, um eine Ansprache zu tippen, die ich kommende Woche bei einer Veranstaltung zu halten habe.

Ungewöhnliche Lebensgeschichte

Doch aufgrund eines kleinen Schlafdefizits und dem Wunsch, mir selber Ruhe und Entspannung zu gönnen, entschied ich mich dagegen. Stattdessen fand ich endlich Zeit, zumindest den ersten von vier kleinen Söckchen zur Geburt zu verhelfen, der so bald wie möglich den passenden Adressaten – eines von zwei neugeborenen Mitgliedern in meinem Freundeskreis – erreichen soll. Und dann hatte ich noch dieses Buch dabei. Beim Durchzappen von Youtube-Videos war ich bei einem Interview mit Balian Buschbaum hängen geblieben, der eine mehr als ungewöhnliche Lebensgeschichte vorzuweisen hat, denn er ist ein Transmann. Weil ich ohnehin in der letzten Zeit ein ums andere mal wieder über dieses Thema gestolpert war, bestellte ich mir eines seiner Bücher.

Die 253 Seiten von „Blaue Augen bleiben blau“ las ich auf der Hin- und Rückfahrt nach Bad Nauheim fast in einem Atemzug durch. Das Thema fasziniert. Nicht nur, weil ich als Leserin einen Einblick bekomme in Operations-Praktiken für künstliche Penisse – ein bisschen möchte die Neugierde „wie das denn wohl gehen soll“ ja auch gestillt werden. Nein, darüber hinaus vor allem aus einem Grund: Balian Buschbaum schreibt von seinem persönlichen Weg zu gelebter Authentizität. Und damit schneidet er ein Thema an, das letztlich jeden betrifft.

Normen und Konventionen

Im Nachwort bringt er dies auf den Punkt: „Manche sind Gefangene ihrer Arbeit, ihrer Familie, gesellschaftlicher Normen und Konventionen, andere grenzen sich selbst so ein, dass ihnen die Luft zum Atmen fehlt. Sie alle träumen von Befreiung, aber glauben oft, dass eine Erfüllung dieses Traums nicht möglich ist, weil sie die an sie gestellten Erwartungen nicht enttäuschen wollen, es sich selbst nicht zutrauen oder es sich in ihrem Unglück bequem gemacht haben.“ Er selber habe sich nie als Opfer gefühlt, schreibt Buschbaum. Kaum zu glauben, wenn man sich auch nur mal für einen Augenblick klar macht, welch nervenaufreibende und existentielle – oder wie er es nennt: überlebenswichtige – Aufgabe er zu bewältigen hatte.

Kritische Stimmen

Wer sich ein wenig durch das Internet googlet, wird durchaus auch sehr kritische Stimmen zu Buschbaums Weltsicht finden. Vor allem in seinem zweiten Buch „Frauen wollen reden, Männer Sex“, das ich selber noch nicht kenne, beschäftigt er sich mit den Unterschieden der Geschlechter. Zwei Kritikpunkte stehen dabei im Zentrum: Erstens widerspreche er sich, wenn er auf der einen Seite sage, er kenne einerseits beide Geschlechter von innen, sei aber andererseits schon immer ein Mann gewesen. Zweitens wird in nicht wenigen Artikeln seine vermeintliche „Normalo“- Denkweise in punkto Heteronormativität an den Pranger gestellt, eine Sache, die mir – zumindest bei der Lektüre dieses Buches – nicht so sehr ins Auge gesprungen ist. Vielleicht ist dies ein Anlass, das andere demnächst mal zur Hand zu nehmen, um mir ein Bild zu machen.

Mein Fazit: Auch wenn ich das Buch jetzt nicht für überragend literarisch halte, kann ich es als sich gut zu lesende Lektüre empfehlen. Es gibt Menschen einen Einblick in die biologische und psychische Welt einer transidenten Persönlichkeit und räumt mit manchen Vorurteilen auf. Wahrscheinlich will es mehr ja auch gar nicht sein. Viele gute Gedanken, interessante Anekdoten und auch den ein oder anderen sinnbildhaft anmutenden Satz findet man darin. Den hier zum Beispiel: „Der Weg zur Freiheit ist der Mut.“

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