Was geschieht, wenn zwei weltweit bekannte Autoren aufeinandertreffen, die sich tatsächlich nie begegnet sind? Dieses Gedankenspiel war es, das mich an dem Buch „Die heiklen Passagen der wundersamen Herren Wilde und Hamsun“ von Matthias Engels am meisten interessierte. Die Frage ließ der Autor indes unbeantwortet. Stattdessen zeichnet er ein sorgfältig recherchiertes Sittengemälde, das sich im Wesentlichen dokumentarisch an die Fakten hält.
Ende des 19. Jahrhunderts. Zwei Männer betreten den amerikanischen Kontinent. Zwei Männer, die später als Literaten weltberühmt sein werden. Zu diesem Zeitpunkt kennt sie kaum jemand. Einer, der irische Schriftsteller Oscar Wilde (geboren am 16. Oktober 1854), erregt allerdings schnell durch seine weltmännische Art und seinen Hang zu „Verruchtem“ Aufsehen. Dem Norweger Knut Hamsun jedoch, geboren als Knud Pedersen am 4. August 1859, gelingt es eher schlecht als recht, sich in verschiedenen Berufen den notwendigen Lebensunterhalt zu verdienen. So arbeitet er unter anderem als Straßenbahnschaffner, als Farmarbeiter, Handlungsgehilfe oder auch als Sekretär.
Ruhm und Ächtung
Wilde wechselt gekonnt zwischen seinen Rollen als ernst zu nehmendem Schriftsteller und Dandy. Er besucht Empfänge und hält Vorträge über seine Vorstellung des Ästhetizismus. Die einen lieben ihn, die anderen sehen in ihm nichts als einen Skandalautoren, der die Grenzen des guten Geschmacks permanent überschreitet. Entsprechend gerät er auch in den damaligen Medien schnell in Verruf. An seinem Erfolg als Schriftsteller ändert das nichts. Im Gegenteil. Unermüdlich arbeitet Hamsun unterdessen an seinem Erfolg. Doch erst nachdem er aus den USA in seine Heimat Norwegen zurückkehrt, gelingt ihm der Durchbruch.
„Wildes ‚Dorian Gray‘ und Hamsuns ‚Hunger‘ werden veröffentlicht. Bald gehört Wilde zur Avangard und Hamsun erhält gar den Literaturnobelpreis. Doch Ruhm ist vergänglich. Beide Schriftsteller sterben geächtet und verbittert“, heißt es auf dem Umschlagtext des Buches. Häppchenweise in kurzweiligen Kapiteln erzählt Engels den Aufstieg beider und auch deren Abstieg. Dabei geht er überwiegend chronologisch vor, sodass es dem Leser selbst überlassen ist, Querverbindungen zwischen Wilde und Hamsun zu ziehen. Dokumentarischen Anspruch erhebt Engels nicht, wie er im Nachwort betont.
Die Begegnung zwischen Wilde und Hamsun bleibt aus
Stattdessen spielt er mit seinen Quellen, nimmt sich auch die Freiheit, die ein oder andere Begegnung mit Zeitgenossen auszuschmücken – was freilich nur Kennern der Materie auffallen dürfte. Sprachlich ist das Buch ein Hochgenuss. Man könnte Engels‘ Stil bisweilen als poetisch beschreiben, doch bleibt er immer auch konkret in der jeweiligen Situation und in seinen Bildern. Das von mir so ersehnte (fabulierte) Treffen zwischen Hamsun und Wilde gibt es nicht, an dieser Stelle bleibt der Autor dann doch auf dem Pfad der historischen Ereignisse.
Schade, denn gerade diese Begegnung zweier Poetiken und Weltanschauungen hätte sicher viel Stoff zu literaturwissenschaftlicher Debatte geboten.