„Es sollte Stellen im Leben geben, wo man zu ordentlichen Öffnungszeiten eine Nummer zieht, anklopft und nach einer Auskunft verlangt.“ Dies ist nur eine von zahlreichen Textstellen, die ich in dem Coming-of-Age-Roman „Wir waren keine Helden“ von Candy Bukowski markiert habe. Immer wieder überrascht die Autorin mit gleichsam witzigen wie geistreichen Einblicken in das Seelenleben ihrer Hauptfigur Sugar, die in den 80er-Jahren vom „Arsch der Welt“ auszieht, das Leben zu lernen.
Bestimmt deine Herkunft deinen künftigen Lebensweg? Bildung, soziale Umgebung, deine Gene? Oder doch eher die Qualität deiner Freundschaften, das familiäre Beziehungsgeflecht? Sugar wächst in den 80ern in einem konservativen Umfeld auf dem Dorf auf. Die täglichen Routinen erlauben kaum einen Blick über den Tellerrand – bis eines Tages der Punker Pete auftaucht. Er weckt Sugars Interesse und gibt ihr zunächst als guter Freund auch Orientierung.
Mut und Zweifel
Sugar verlässt die vermeintliche Sicherheit ihres Heimatortes und begibt sich mitten hinein ins Leben. Sie liebt, erleidet Enttäuschungen, wagt Neues und fällt ab und zu auch wieder in alte Muster zurück. „Wenn all die sperrigen Wenn und Aber aus dem Weg gekickt und all die sinnbefreiten Konjunktive vom Herz gerissen wurden, dann läuft es schon irgendwie in die richtige Richtung“, erkennt sie früh. Nicht immer gelingt es ihr sofort, allen Einwänden und Möglichkeitsformen zum Trotz ihren eigenen Weg zu erkennen und zu beschreiten. Auch Zweifel gehören schließlich zum Erwachsenwerden.
Bis ins Jahr 2015 erzählt Bukowski ihre Geschichte. Sugar ist eine gestandene Frau und eine neue Perspektive prägt fortan ihren Blick, denn sie ist jetzt Mutter einer Tochter. Neue Herausforderungen und auch Krankheit schneiden Wunden: „Das Leben ist kein Geschenk. Das ist völliger Unsinn. Es ist ein Gutschein. Und das Einzige, worum es geht, ist, ihn einzulösen, bevor er verfällt.“ Nicht alle Hoffnungen lösen sich ein, manch ein Traum bleibt irgendwann am Wegesrand zurück. „Manchmal ist Kapitulation Stärke. Und zu allem Nein sagen das größte Ja, das man sich selbst geben kann.“
Soundtrack eines Lebens
Mich hat die Lektüre dieses (autobiografischen) Romans sehr berührt. Vor allem sprachlich hat er mich gepackt. Jedes Kapitel ist zudem mit einer Überschrift und einem dazugehörigen Songtitel versehen, von denen mir viele bekannt waren – der Soundtrack zu Sugars Leben sozusagen. Musik spielt überhaupt eine große Rolle für die Protagonistin. Und so wundert es nicht, dass die Geschichte auch mit einem musikalischen Moment endet: „Zum Gitarrensolo gesellt sich kraftvoll das bekannte Schlagzeug. Es hämmert dem ewigen Kampf im Auge des Tigers melodisch seinen Rhythmus ein“ …
Was bedeutet es also, erwachsen zu werden, erwachsen zu sein? Bukowski gibt keine Antworten auf diese Fragen, dafür aber enthält ihre Geschichte viele Anregungen, über die es sich nachzudenken lohnt. Im Kern sind es doch Erfahrungen und die Menschen, die uns begegnen, die uns zu dem machen, was wir sind. Unbedingte Leseempfehlung!