[Rezension] Winternähe – Mirja Funk

Lola will Gerechtigkeit. Nachdem zwei Bekannte ein Bild von ihr in aller Öffentlichkeit mit einem Hitlerbärtchen verunziert haben, setzt sie sich zur Wehr – und geht vor Gericht. Hier aber zieht sie den Kürzeren, denn, strenggenommen, ist sie als Tochter einer nicht-jüdischen Mutter und eines jüdischen Vaters gar keine „richtige“ Jüdin. Gefühlt sieht Lola das anders. Deutsch sein und jüdisch sein, für sie ist dies kein Widerspruch. Das Gesetz der matrilinearen Vererbung spielt in ihrem Alltag keine Rolle.

„Ihr Leben lang schon hatte jeder Mensch, dem Lola begegnet war, über ihre Identität entschieden“, beschreibt die Autorin Mirna Funk gleich zu Beginn das Dilemma ihrer Protagonistin. Die junge Fotografin wuchs bei ihren jüdischen Großeltern auf. Vom Vater verlassen, von der Mutter kaum beachtet, lernt sie früh, dass das Leben nicht immer so spielt, wie man es sich selber vorstellt. Oft fühlt sie sich fremdbestimmt und in Schubladen verfrachtet, die ihr nicht entsprechen.

Auf der Suche nach ihrer Identität und einem Gefühl der Zugehörigkeit macht Lola sich auf den Weg nach Tel Aviv. Zwischen palästinensischen Bombenangriffen auf Israel und privaten Tragödien auf Seiten der Israelis und der Palästinenser erlebt Lola eine tiefe Liebe und endlich so etwas wie nach Hause kommen.

Die dritte Generation

Mit „Winternähe“ ist Mirna Funk ein hochemotionaler und intensiver Roman gelungen, der die deutsch-jüdische Beziehung aus der Perspektive der dritten Generation nach dem Zweiten Weltkrieg beleuchtet. Doch es geht in dem Buch um mehr. Es geht um die Nachhaltigkeit von Beziehungen und ein gesundes Maß an Selbstbestimmung. Und so ist es nur folgerichtig, dass Lola eines klar stellt: „Mein Name ist Lola. Ich bin Deutsche. Ich bin Jüdin. Und der einzige, der mir ein Hitlerbärtchen ins Gesicht malen darf, bin ich selbst.“

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