„Der Sturm“: Magisches Spektakel am Hafen

Um kurz nach zehn ist es soweit und die Pyrotechniker des Borchert-Theaters zünden ein Feuerwerk zum großen Finale. Fast zwei Stunden unterhaltsames Schauspiel liegen zu diesem Zeitpunkt hinter uns. Mit „Der Sturm“ hat Intendant Meinhard Zanger seinen jüngsten Coup abgefeuert. Kurzweilig und voller magischer Momente gelingt der Sprung ins kalte Wasser.

Viele Münsteraner werden sich erinnern: 2012 belebten Shakespeare’sche Gestalten mit dem „Sommernachtstraum“ das Gasometer in Münster. Verantwortlich für das Sommertheater-Spektakel war damals das Ensemble des Borchert-Theaters, das aus dem stillgelegten Erdgasspeicher eine Effektbühne machte. Ein großer Erfolg. Da nachzulegen, ist natürlich schwer.

Eindrucksvolle Effekte

Monika Hess-Zanger. Foto: Tanja Weidner 2018

Meinhard Zanger und seine Crew entschieden sich in diesem Jahr für eine andere, aber nicht weniger extravagante Location: den Münsterschen Hafen. Dort ist derzeit direkt vor dem Theatergebäude eine schwimmende Bühne (Bühnenbild: Darko Petrovic) installiert. Die Zuschauerränge befinden sich an Land, die Schauspieler gelangen während der Aufführung von „Der Sturm“ nur über das Wasser zu ihren Auftritten.

Open-Air-Sommertheater lebt traditionell von besonderen Effekten, von eindrucksvollem Licht, das erst langsam nach Sonnenuntergang seine volle Wirkung entfaltet, und von ungewöhnlichen Auftrittsideen. Da überrascht es nicht, dass Schauspieler und Regie die Seenot nicht bloß andeuten, sondern mit Pauken und Trompeten im Hafenbecken live und in Farbe untergehen.

Die Herzoginnentochter Miranda (Rosana Cleve) schwimmt unbedarft und unbekleidet zu ihrer ersten Szene und Kellermeister Stephano (Florian Bender) zelebriert sein Erscheinen in der schwimmenden Horizontale. Dabei nutzt er einen Rettungsring, um sich und seine Flasche Wein bequem auf die Insel zu transportieren.

Worum geht’s im Stück?

Jannike Schubert. Foto: Tanja Weidner 2018

Aber von Anfang: „Der Sturm“ ist ein spätes Werk Shakespeares, in dem – der romantischen Tradition folgend – Magie, Mensch und Naturgewalten das Herrschaftsdenken des Adels ordentlich durcheinander rütteln. Herzog Prospero – bei Zanger eine Prospera, entschlossen verkörpert von Monika Hess-Zanger – ward zwölf Jahre zuvor mit seiner Tochter auf einer einsamen Insel gestrandet.

Prospera hatte sich mehr um ihr Wirken als Zauberin gekümmert, denn um ihr Volk. Ihr von Macht zerfressener Bruder Antonio (Bernd Reuser) schmiedete eine Allianz mit Alonso, dem König von Neapel, in Münster dargestellt von Jürgen Lorenzen. Beide sorgten damals dafür, Prospera als Herzogin von Mailand zu stürzen. Was ihr blieb, war nur die Flucht.

Auf der Insel nun schwingt die Exil-Herzogin über einem ganz anderen Völkchen ihr Zepter: Der Luftgeist Ariel (großartiger Jetski-Auftritt: Jannike Schubert) ist ihr verpflichtet, nachdem sie ihn aus einem bösen Zauber befreite. Und auch der koboltartige Caliban (Tatjana Poloczek) steht Prospera zu Diensten.

Späte Genugtuung

Markus J. Bachmann (links) und Florian Bender. Foto: Tanja Weidner 2018

Als die Flotte des Königs nebst Antonio eines Tages nah der Insel segelt, sieht Prospera den Moment gekommen, endlich Genugtuung zu erfahren. Mit Ariels Hilfe sorgt sie für ein heftiges Unwetter, sodass die edlen Herren samt Besatzung auf der Insel stranden.

Nach dem stürmischen Auftakt nimmt die Handlung ihren Lauf: Antonio und Sebastian (Alonsos Bruder, gespielt von Johannes Langer) schmieden Mordpläne gegen den König; Königssohn Ferdinand (Bastian Sesjak) gilt als vermisst und wird verzweifelt gesucht. Unterdessen treffen die Boffu-Gestalten Stephano und Trinculo (genial witzig: Markus J. Bachmann) auf Caliban und planen ihre ganz eigene Weltherrschaft – nicht ohne dabei den ein oder anderen Wein zu verköstigen.

Miranda begegnet Ferdinand und ist schier außer sich vor Begeisterung. (Er ist der erste Mann, der ihr in ihrem Leben unter die Augen kommt.) Die Geister auf der Insel, unter Anleitung von Ariel, sorgen ebenfalls für ordentlich Wirbel. Über allem: Zauberin Prospera, die im Hintergrund die Fäden zieht.

Flaches Drama oder doch mehr Tiefgang als gedacht?

Bastian Sesjak und Rosana Cleve. Foto: Tanja Weidner 2018

Schon der Autor überzeichnet seine Figuren maßlos und kratzt dabei scheinbar an der Oberfläche. Der Aufbau des Dramas wirkt simpel und die Handlung erfolgt streng linear. Im chaotischen Spiel der Protagonisten entfalten sich allerdings einige hoch aktuelle Fragen nach Herrschafts- und Machtstrukturen verschiedener Epochen.

So steht der Bruderzwist im Zentrum des Geschehens, er ist Auslöser und treibt auch auf der Insel die Handlung voran. Der jüngere Bruder unterläuft die rechtmäßige Rangfolge, um Prospero zu stürzen und selbst auf dessen Position aufzusteigen. Zangers Kunstgriff, mit Hess-Zanger eine Frau zu besetzen, darf also ruhig als bewusste Aktualisierung verstanden werden.

Bruderzwist und Genderfrage

Von links: Monika Hess-Zanger, Bernd Reheuser und Jürgen Lorenzen. Foto: Tanja Weidner 2018

Nun ist es nicht mehr der ältere Bruder, dessen Machtanspruch infrage gestellt wird. Es ist die Genderfrage, die an die Stelle des klassischen Bruderzwistes rückt. Die Rivalität zwischen den Geschlechtern wird durch Mirandas Gebaren umso mehr ad absurdum geführt: Als sie beim Finale auf weitere Männer trifft, kann sie ihr Glück kaum fassen. So viele wundervolle Gestalten auf einem Haufen! Mehr Überzeichnung geht wohl kaum.

Der Wunsch nach Macht durchzieht das Stück durch alle Bevölkerungsschichten, von ganz oben bis nach ganz unten in Knechtschaft und Sklaverei. Kein Wunder, wenn man das Geschehen unter modernen Managementaspekten betrachtet. „Der Fisch stinkt vom Kopf“, ist keine seltene Redensart, wenn es um Führung in Unternehmen geht. Zu Shakespeares Zeiten mag es nicht anders gewesen sein.

Beste Unterhaltung

Feuerwerk zum großen Finale. Foto: Tanja Weidner 2018

Daneben aber kann „Der Sturm“ auch einfach als ein unterhaltsames Sommertheater genossen werden. Mit aufregender Musik, gelungenem Einsatz von Lichteffekten und mit jeder Menge Gaudi im Münsterschen Hafen.

Ob ich mit meiner Deutung der Inszenierung richtig liege, können wohl am besten Regisseur Zanger oder die Dramaturgin Tanja Weidner beantworten. Theater lebt ja aber auch immer von den eigenen Assoziationen. Mir hat der Abend – trotz Wind und Kälte – gut gefallen.

Habt ihr den „Sturm“ im Hafenbecken auch schon gesehen? Eure Meinung würde mich interessieren. Schreibt sie gerne in die Kommentare!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert