„Kabale und Liebe“ am Borchert-Theater: Die mediale Inszenierung des Privaten

Gemeinheit, Tücke, Intriganz – die Liste der Synonyme ist lang, befragt man den Duden, was der Begriff Kabale bedeutet. Zwar ist das Wort wohl nur noch auf deutschsprachigen Bühnen gebräuchlich, das, was es aussagt, ist jedoch so aktuell wie eh und je. Da ist es nur folgerichtig, dass Regisseurin Tanja Weidner in ihrer Inszenierung von „Kabale und Liebe“ am Wolfgang-Borchert-Theater die Handlung in die Jetzt-Zeit überträgt. Am Samstag feierte das Stück zum Saisonauftakt am Hafen seine umjubelte Premiere.

„Leben Sie wohl – in drei Viertelstunden weiß es die ganze Stadt“, so spricht der Hofmarschall (Heiko Grosche) und schickt sogleich die frohe Kunde der soeben beschlossenen Verlobung mit einem Fingertipp auf dem iPad durch die sozialen Netzwerke. Zum Leidwesen Ferdinands (Luan Gummich) ist Lady Milford (Sabrina von der Sielhorst), nicht Luise (Alice Zikeli) die Frau, die er auf Anweisung seines Vaters Präsident von Walter (Sven Heiß) heiraten soll. Dabei gehört sein Herz schon längst der schönen Musikantentochter. Schade nur, dass sie nicht dem passenden Stand entspricht.

Virale Verbreitung

Der Vater besteht auf seinem Entschluss und treibt den Sohn unaufhaltsam seinem tragischen Ende entgegen. Was früher noch von Mund zu Mund weiter getragen wurde, heute verbreitet es sich viral. Privatheit? Im Netz scheint sie kaum mehr möglich. Zumindest dann nicht, wenn der eigene Vater es darauf anlegt, entsprechende Schlagzeilen zu lancieren. Was würden schließlich die Leute sagen, nähme man die Verlobung so mir nichts dir nichts jetzt noch zurück?

Doch nicht nur an dieser Stelle greift Tanja Weidner auf die modernen Medien zurück. Immer wieder verwenden ihre Darsteller die Handkamera, die als einziges Requisit ständig auf der Bühne bleibt. Persönliches plaudern sie nicht unter vier Augen, sondern projiziert auf die große Leinwand aus. Ein erzwungenes Schuldeingeständnis wird als Video festgehalten, so dass es theoretisch schnell im Netz die Runde machen kann. Und auch die Liebenden erliegen der Versuchung, ihr Glück mithilfe technischer Mittel und in Selfie-Manier gleich mit der ganzen Welt zu teilen.

Intimstes wird öffentlich

Zwar ist der multimediale Zugang zu Klassikern wie diesem von Friedrich Schiller nicht neu, doch passt er an dieser Stelle tatsächlich wie die Faust aufs Auge. Wo Intimstes öffentlich verwertet wird, um andere zu manipulieren und seine eigenen Interessen durchzusetzen, da ist auch der Missbrauch sozialer Netzwerke nicht weit. Freud und Leid liegen hier nah beieinander. Nicht nur auf konzeptioneller Ebene überzeugt die Inszenierung, auch sprachlich ist sie ausgefeilt.

Bereits die Eingangsszene ist ein Hochgenuss, in der Jürgen Lorenzen alias Stadtmusikant Miller den behördenbäuchigen Haussekretär Wurm (Florian Bender) in seine Schranken weist. Brilliant auch Heiko Grosche, der als tuntiges
Pendant zum strengen und verhärmten Präsidenten von Walter auftrumpfen kann. Sabrina von der Sielhorst vermag ihrer Figur der Lady Milford gleichermaßen sinnliche wie markante Töne abzutrotzen.

Moralischer Konflikt

Erfrischend selbstbewusst spielt Alice Zikeli als Luise auf, die es bis zum Schluss vermeidet, das naive Dummchen zu geben und damit den moralischen Konflikt verschärft. Fast ein wenig zu jungenhaft wirkt da neben ihr manchmal Luan Gummich, der in roter Lederjacke sicher so manches Mädchenherz in den Publikumsreihen wird höher schlagen lassen.

Das Bühnenbild von Stefan Bleihorn ist abtrakt gehalten und lässt viel Raum fürs Spiel. Drei Wände, die sich zu einer gebrochenen Welt neigen lassen, säumen eine Fläche, die bedeckt ist von schwarzem Konfetti. Mal meint man Laub darin zu entdecken, dann wieder wirkt es wie ein Teppich oder das Bad in der schäumenden Wanne. Trotz Tragik vergehen die zweieinhalb Stunden wie im Flug. Eine Ensemble-Leistung, die Lust auf mehr macht!

 

Foto: WBT

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