[Rezension] „Der Joker“ und „Die Bücherdiebin“ – Markus Zusak

Zu hohen Erwartungen zu entsprechen, das gelingt ja bekanntlich den wenigsten. Und wenn, dann sicher nur in einzelnen Aspekten, nie aber auf der ganzen Linie. Warum sollte es da einem Roman besser ergehen als uns Menschen? „Der Joker“ fiel mir in die Hände, Monate nachdem ich mit Begeisterung Zusaks „Bücherdiebin“ verschlungen hatte.

„Die Bücherdiebin“ hatte mich tatsächlich von der ersten Seite an gepackt, mit Haut und Haar. Meine temporären Gefühlsregungen währenddessen: Freude, Trauer, Entsetzen, Euphorie, Wut, Verzweiflung, Neugierde und und und… Diese Liste könnte ich nach Belieben fortsetzen.

Wertvolle Kleinigkeiten des Alltags

Endlich mal wieder ein Werk, das sich den üblichen Schubladen entzieht, gerade weil es für jede Generation etwas ganz Eigenes zu bieten hat. Neben der Machart, vielen grotesk-komischen Details, die einfach Spaß bringen, fasziniert mich vor allem die Leichtigkeit, mit der es daher kommt und manchmal so ganz nebenbei Grausiges neben die wertvollen Kleinigkeiten des Alltags stellt, die wir oft gar nicht mehr wahrnehmen, die aber durch die Augen eines aufmerksamen Kindes betrachtet wieder an Bedeutung gewinnen.

Nun, eigentlich wollte ich doch vom „Joker“ berichten. Ed Kennedy führt ein laaaangweiliges Leben, ziellos, planlos, ergebnislos. Eines Tages findet er eine Spielkarte in seinem Briefkasten mit einer seltsamen Botschaft. Wie es aussieht, ist er dazu auserkoren worden, Aufgaben zu erfüllen, fremde Menschen zu besuchen und etwas in ihrem Leben zum Besseren zu wenden. Aber warum? Und von wem? Das bleibt zunächst im Dunkeln. Eine interessante Grundidee.

Hunger nach Lesestoff

„Die Bücherdiebin“ wird erzählt aus der Sicht des Todes. Er beobachtet die Geschichte der 9-jährigen Liesel Memminger. Beide begegnen sich in den 30er Jahren immer und immer wieder. Liesel fühlt sich von Büchern magisch angezogen, obgleich sie gar nicht lesen kann. Um ihren Stoffhunger zu befriedigen, stiehlt sie eines Tages das Handbuch eines Totengräbers und lernt daraus Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort die Bedeutung der unbekannten und faszinierenden Schriftzeichen.

Im Gegensatz zu Liesel, die selbständig ihre Umgebung erkundet, fühlt sich Ed Kennedy gedrängt, sich der fremden Menschen anzunehmen. Nun, nicht immer muss ein Protagonist gleichzeitig Sympathieträger sein, aber wenigstens sollte es doch einen Grund für mich geben, seine Geschichte weiter verfolgen zu wollen. Genau das macht mir dieser Ed aber nun wirklich nicht leicht. Schnell gerät mein Wohlwollen an seine Grenzen, wenn Ed zum Beispiel mehrere Anläufe braucht, um einzugreifen, nachdem er häusliche Gewalt in einer Familie beobachtet hat. Mit vorgehaltener Waffe zwingt er schließlich den Aggressor zur „Einsicht“, sich in Zukunft anders zu verhalten. Kann man so machen.

Nächstenliebe und Zivilcourage

Viel besser gefällt mir da schon das Verhalten von Liesels Pflegeeltern, als ein fremder Mensch in Not gerät. Ohne Pathos erzählt Zusak von Nächstenliebe und Zivilcourage, von der Angst, die es manchmal mit sich bringt, das Richtige zu tun. Aber auch von der Verzweiflung, wenn in anderen Situationen jede Hilfe zu spät kommt und das nackte Grauen in unser Leben einbricht, von menschlichen Schwächen und Nöten.

Bis etwa zur Hälfte schaffe ich es, mich mühsam durch den „Joker“ hindurch zu arbeiten, dann lege ich ihn zur Seite. Möglich, dass ich einfach gerade nicht in der Stimmung bin. Nicht jede Geschichte passt zu jeder Zeit. Als ich den Roman zwei Wochen später wieder zur Hand nehme, geht es tatsächlich besser.

Das mag aber auch daran liegen, dass Ed Kennedy langsam selbständiger wird, ihm an den neuen Aufgaben tatsächlich etwas zu liegen scheint. Der Strom der Karten reißt nämlich nicht ab. Als er den Auftrag bekommt, seinen Freunden zu helfen, geht die Geschichte sogar richtig unter die Haut. Fast hätte ich das Buch gemocht, wäre da nicht – achja… – wäre da nicht diese moralische Keule am Ende, die mir die Freude leider wieder trübt.

Zeigefingertonfall

Der Autor allerhöchstselbst tritt in Erscheinung und proklamiert, was mir nach Lektüre der „Bücherdiebin“ doch längst schon klar geworden ist (Achtung, Zaunpfahl!): Wenn selbst eine Nulpe wie Ed es schafft, eine solche Wandlung zu erfahren, dann ist er doch sicher kein Einzelfall. „Vielleicht kann jeder über seine eigenen Grenzen hinaus gehen.“ Oder anders ausgedrückt: Es lohnt sich, seinem Gegenüber Achtung entgegen zu bringen. Es lohnt sich, andere zu unterstützen, in Notsituationen zu helfen, mit den Menschen in Beziehung zu treten, denn das macht auch den Helfer zu einem zufriedenen und wertvollen Mitglied unserer Gesellschaft.

Mein Urteil in Bezug auf Zusak: Am meisten lohnt es sich meiner Meinung nach vor allem, „Die Bücherdiebin“ zu lesen!

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