[Rezension] Middlesex – Jeffrey Eugenides

„In einem kleinasiatischen Bergdorf fängt alles an. Ein junger Mann und eine junge Frau, Bruder und Schwester, fliehen vor den Türken nach Smyrna und, als die Stadt brennt, nach Amerika. Es ist das Jahr 1922. Auf dem Schiff heiraten sie und lassen sich später in der Autostadt Detroit nieder. Niemand ahnt das Geheimnis dieses Paares, doch nach Jahrzehnten hat der Tabubruch der beiden ungeahnte Folgen.“ – So viel zum Klappentext …

Oft hielt ich dieses Buch im Geschäft in der Hand, doch konnte ich mich nicht so recht zum Kauf entschließen. Doch nun ist es schon seit einiger Zeit mein. Ich habe diese Anschaffung nicht bereut und konnte kaum ein Auge zu tun, bis ich irgendwann die letzte Seite umschlug und das Buch endlich durchhatte.

Genealogie einer Familie

Aus der Sicht des Anfangvierzigers Cal (ehemals das Mädchen Calliope) lesen wir (im wahrsten Sinne des Wortes) die Genealogie der Familie Stephanides, eine Abstammungsgeschichte der besonderen Art. Denn zusätzlich zu den Einwandererproblemen dieser griechisch-stämmigen Familie im Amerika der 20er Jahre und der Jahrzehnte danach, die immer wieder eine Rolle spielen, beschäftigt sich Cal mit der (genetischen) Bildung seiner ganz eigenen Wesensart, die sich in ihm als Hermaphrodit manifestiert.

Die Frage, die dadurch stets wieder ins Zentrum gerückt wird: Wie werden wir, was wir sind?, kann auch durch diese Lektüre nicht abschließend beantwortet werden, jedoch regt das Buch sehr dazu an, sich mit ihr intensiv auseinander zu setzen.

Große Sensibilität

Trotz der Brisanz der Themen Inzest und Intersexualität lässt sich Eugenides nicht zu marktschreierischen Mitteln verführen, sondern beschreibt mit großer Sensibilität die Verfassung eines Mädchens, das sich nicht als solches fühlt und schließlich zum Mann wird, der die Merkmale beider Geschlechter in sich trägt. Diese Identitätsfindung begleitet der Autor, ohne zu werten oder zu verurteilen.

Im Gegenteil, er rückt das „Abnorme“ unaufwendig ins Zentrum und zeigt, dass die Norm nur ein Konstrukt ist, von dem sich jeder in irgendeiner Weise unterscheidet. Die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, eine eigene Identität zu entwickeln, sind letztlich unausweichlich. Wir alle tragen das Erbe vorhergehender Generationen in uns und es tritt mal mehr, mal weniger zutage.

Mein Urteil: Eines der ganz Großen!

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