Es klingt wie eine Geschichte aus dem vorherigen Jahrhundert: Chani und Baruch werden heiraten. Tatsächlich aber haben sie sich erst wenige Mal gesehen und noch kein einziges Mal berührt. Das, was in der Hochzeitsnacht zwischen ihnen geschehen soll, ist für sie ein Mysterium, keiner erklärt es ihnen. Entscheidend ist: Sie beide haben der Hochzeit zugestimmt und werden nach streng religiösen, das heißt in diesem Fall nach jüdisch-orthodoxen Maßstäben leben.
In ihrem Debütroman „Die Hochzeit der Chani Kaufman“ schildert Eve Harris die Geschichte zweier Paare in London im Jahr 2008. Chani und Baruch sind das eine Paar, das zweite bilden der Rabbi und die Rebbetzin Zilberman.
Große Krise
Während Chanis Mutter mit insgesamt acht Töchtern ordentlich gefordert ist und nur wenig Zeit für Chani aufbringen kann, vertraut diese ihre Ängste der Rebbetzin an. Nicht ahnend, dass ihre Gesprächspartnerin vor mehr als zwanzig Jahren aus Liebe ein freies und unabhängiges Leben gegen die strengen religiösen Regeln tauschte und derzeit selbst in einer großen Krise steckt.
Aus den unterschiedlichen Perspektiven der Hauptfiguren wird der Fortgang der Geschichte erzählt – vom ersten heimlichen Blick des Bräutigams Baruch auf seine Braut, über die Versuche seiner Mutter, die nicht standesgemäße Heirat zu verhindern, bis hin zur Hochzeitsnacht, die zunächst alles andere als romantisch und harmonisch verläuft.
Sensibler Blick
Stück für Stück lernt der Leser bei seiner Lektüre eine Parallelgesellschaft kennen, die mitten unter uns ist. Mit sensiblem Blick schildert die Autorin die Ängste, Sorgen, Hoffnungen und auch religiösen Überzeugungen ihrer Figuren, ohne sie zu werten.
Die Wahl zweier eigenwilliger und selbstbestimmter Frauen als Protagonistinnen gibt der Erzählung gleichwohl eine kritische Note. Von der ersten bis zur letzten Seite hat mich dieses Buch gefesselt und ich kann es an dieser Stelle nur wärmstens empfehlen.