[Rezension] Jahre wie diese – Sadie Jones

In einem Museum begegnen sich Nina und Luke, die Protagonisten des Romans „Jahre wie diese“, zum ersten Mal. Sie wissen es nicht und werden sich später kaum an diesen Augenblick erinnern können. Ihre Leser aber lässt Autorin Sadie Jones zum Einstieg an dem schicksalhaften Moment im Leben der Kinder teilnehmen. Es ist eine Schlüsselszene dieses bewegenden Romans, der in der englischen Theaterlandschaft der 70er-Jahre spielt.

Luke hat seine Mutter aus einer psychiatrischen Anstalt entführt, um ihr mit dem Besuch im Museum einen Herzenswunsch zu erfüllen. Nina ist mit ihrer Tante unterwegs. Ninas Mutter, eine Schauspielerin, überließ die Tochter deren Obhut, obwohl das Kind verzweifelt versuchte, die Mutter zum Bleiben zu bewegen.

Moment der Trennung

„Ein Teil von ihr hatte geglaubt, ihre Mutter an sich binden zu können, aber stattdessen hatte es sie von ihr fortgetrieben“, beschreibt Jones das Drama, das Nina im Moment der Trennung erleidet. „Schließlich war es Hoffnungslosigkeit, nicht bewusster Wille, die Nina dazu bewegte, aufzugeben und loszulassen.“

Später im Museum beobachten Nina und Tante Mat aus einiger Entfernung den psychischen Zusammenbruch einer offensichtlich geistig verwirrten Frau. Ein Junge ist bei ihr. Es ist Luke und der ernüchternde Einbruch seiner davon gesehnten Realität.

Leidenschaftliche Affäre

Erst Jahre später treffen sich Nina und Luke erneut. Sie ist inzwischen selber, auf Wunsch ihrer wenig erfolgreichen Mutter, Schauspielerin geworden und verheiratet. Er feiert erste Erfolge als Theaterautor. Sie verfallen einander in einer leidenschaftlichen Affäre. Doch beide lässt ihre jeweilige Vergangenheit nicht los.

Während Nina ein unglückliches und selbstzerstörerisches Stellvertreter-Leben führt, um es ihrer Mutter recht zu machen, ist Luke getrieben davon, seine labile Geliebte aus ihrer Misere zu befreien. Dafür verrät er sogar seine engsten Freunde. Doch Nina ändert und entscheidet nichts. In ihrer Bindungslosigkeit leiden die Protagonisten bis an den Rand der Selbstaufgabe.

Großartige Erzählung

Das Bild der Trostlosigkeit, das Sadie Jones bereits zu Beginn ihrer großartigen Erzählung etabliert, löst sich gegen Ende ein: Zwei Menschen, die in der Zweisamkeit eine tiefe Einsamkeit empfinden. Zusammen ist man eben nicht immer weniger allein. Manchem wird der Schmerz gerade im Erleben von Nähe offenbar.

Umso bemerkenswerter ist es, der Entwicklung Lukes zu folgen, dem letztlich Heilung gelingt, so sehr Heilung eben gelingen kann – wo einst die Vergangenheit tiefe Wunden hinterließ. Ein tiefgründiges und überaus empfehlenswertes Buch mit poetischem Sprachschatz.

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