Ein verstörendes Beziehungsgeflecht und Gesellschaftsszenario entwirft Inger-Maria Mahlke in ihrem Roman „Rechnung offen“, der in einem Mehrparteienhaus in Berlin/Neukölln angesiedelt ist.
Gescheiterte Existenzen unter einem Dach, die alle ihre eigene Rechnung mit dem Leben noch offen haben: Wie in einem klassischen Drama führt die Autorin auf der ersten Seite die Namen der Figuren auf, die im Buch eine Rolle spielen werden. Da wäre zum Beispiel Claas, „ein Hauseigentümer, Psychotherapeut, Vermeidungsstratege und natürlich nicht kaufsüchtig“, oder die Backshopangestellte Manuela, „alleinerziehende Mutter, psychiatrieerfahren, aber jetzt geht’s besser“.
Wer als nächstes das erste Kapitel aufschlägt, wird dies nun nicht mehr unvoreingenommen tun können. Im Gegenteil, man ist ja gewarnt. Und irgendwie ahnt man schon, wie die ganze Schose enden wird.
Melancholische Grundstimmung
Dass die Geschichten, die fast wie in einem Episodenfilm aneinandergereiht werden, dennoch vom ersten Wort an packen, ist vor allem der nüchternen und niemals wertenden Sprache von Mahlke zu verdanken, die ihre Schützlinge zwar detailliert in ihrem Scheitern schildert, aber zu keinem Zeitpunkt verrät.
Dies ist es auch, was den Roman zu etwas Besonderem macht und trotz der eher melancholischen Grundstimmung zu einem Vergnügen werden lässt. Nach und nach werden die Verstrickungen der Erzählstränge untereinander deutlich, die sich ab und an im Flur begegnen.
Claas ist derart verschuldet, dass seine Frau Theresa („eine Juristin aus Portugal, die grün liebt“) ihn verlassen hat. Tochter Ebba („die sich bloß ein wenig mehr Mühe geben müsste“) versüßt sich die schwer zu ertragende Realität durch Graskonsum. Sie wohnt mit Papa nun im selben Haus. Von familiärem Zusammenhalt aber ist wenig zu spüren.
Eindringliche Schilderungen
So geht es auch dem achtjährigen Lucas, der plötzlich ganz auf sich gestellt ist, als seine Mutter Manuela als Domina in ein anderes Leben flüchtet. Ebenfalls auf der Flucht scheint die Rentnerin Elsa zu sein, deren Gedächtnis sie zunehmend verlässt. Und so setzt sich der einsame Reigen fort.
Zwangsläufig stellt sich am Ende der Lektüre die Frage, wie viel man wirklich über seine Mitmenschen weiß. Inger-Maria Mahlke beschreibt sehr eindringlich, dass das meiste dann doch hinter der Fassade und den Haustüren verborgen bleibt.