Am 21. August 2010 verstarb der Film-, Theater- und Opernregisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief an den Folgen seiner Krebserkrankung. Ohne Zweifel war er ein Ausnahmekünstler, der mit seinen Aktionen und Inszenierungen aufwühlte, zum Nachdenken anregte und polarisierte.
Kaum ein Thema war vor ihm sicher, so er denn die gesellschaftliche Relevanz spürte, die ein Aufbrechen tabuisierter Schranken in seinen Augen notwendig machte. Und so machte er auch vor seiner eigenen Krankheit und Todesangst nicht halt.
Durch Höhen und Tiefen
In dem Buch „So schön wie hier kann’s im Himmel gar nicht sein“, dem Tagebuch seiner Krebserkrankung, formuliert Christoph Schlingensief ein durch alle Höhen und Tiefen spürbares Plädoyer für das Leben, das zielgerichtete Handeln im Miteinander und die Liebe zu seinen Mitmenschen.
Seit diesem Herbst ist dieser Text auch als Taschenbuch erhältlich.
Es gehört großer Mut dazu, die emotionale Unsachlichkeit einer existentiellen Extremsituation darzulegen, die Angst, die Verzweiflung, die Auseinandersetzung mit dieser tief empfundenen Ungerechtigkeit. Und so geht er mit sich und seinem Leiden ganz schön zur Sache, dieser Christoph Schlingensief.
Physische und psychische Einschränkungen
Möglicherweise aber ist genau diese Offenheit ein gangbarer Weg, auf dem der Erkrankte sich seine Handlungsfähigkeit erhält und zu einer neuen Klarheit gelangt.
Der „Einbruch des Realen“, die Krebsdiagnose, sei es denn auch, die Schlingensief den Boden unter den Füßen weggerissen habe.
Als „Beraubung der Freiheit“ empfindet er die physischen und psychischen Einschränkungen, aber auch den Umgang seiner Umgebung mit dem System „Krankheit“: „Nicht die Krankheit ist das Leiden, sondern der Kranke leidet, weil er nicht fähig ist, zu reagieren, weil er nicht die Möglichkeit hat, mitzumachen.“
Die Freiheit des Einzelnen
Die Arbeit an einem „erweiterten Krankheitsbegriff“ wird ihm daher zum Bedürfnis, der Kampf um die Wiedererlangung seiner persönlichen Freiheit: „Die Freiheit des Einzelnen besteht wahrscheinlich darin, über sich selbst nachdenken zu dürfen.“
Gleichwohl untersucht er gesellschaftliche Zusammenhänge in Bezug auf das Leid. Nur so sei letztlich Handlungsfähigkeit zu erreichen: „Wichtig ist, dass man die eigene Sache auf das Leiden in der Welt bezieht, und dass man über die Schwierigkeiten nachdenkt, dieses Leiden als Kraft zu begreifen.“
Schlingensief erkämpft sich diese Möglichkeit in seiner Kunst, er macht die Stimme des Kranken hörbar und unausweichlich. Wer sich dieser Auseinandersetzung entziehen will, der entzieht sich letztlich seiner Verantwortung. Die Erde sei der „einzig freie Ort im Universum, in dem man gestalten und auch glücklich werden“ könne.
Die Rolle der Liebe
Mit berührender Offenheit schreibt Schlingensief über die Liebe zu seiner Frau und die Dankbarkeit, sie in dieser schweren Zeit an seiner Seite zu wissen. In der Liebe werde die Kraft offenbar, die das Leid hervor rufen könne, denn „[n]icht der Leidende ist der, der eine Prüfung macht, sondern der, der auf den Leidenden trifft.“
Ein Buch, das berührt, zum Nachdenken heraus fordert und Respekt verdient!
Mein Urteil: Überaus wertvoll!