Als „Kriminalroman“ wird „Wolfsstadt“ von Bernd Ohm auf dem Cover eingeordnet. Dabei ist das Debüt des Autors weit mehr als das: Es ist das Psychogramm zweier Menschen, die während der Gräuel der Nationalsozialisten auf verschiedenen Seiten standen. Bernd Ohm gibt den Traumata des Zweiten Weltkriegs ein von Schmerz- und Schuldgefühlen verzerrtes Gesicht.
Fritz Lehmann ist alles andere als ein klassischer Held. Er hat Albträume, Potenzprobleme und eigentlich auch keine Freunde. Als Soldat an der Front hat er in den Augen seiner Kameraden „versagt“, weil er es nicht fertigbrachte, einige Juden zu erschießen. Stattdessen rebellierte sein Magen und er übergab sich auf den bereits vorhandenen Leichenberg. Das Drama verfolgt ihn bis in den Schlaf, so dass er keine Ruhe findet.
Enthauptete Leiche
Als in einem Baggersee eine enthauptete Frauenleiche ohne Beine gefunden wird, wird Kommissar Lehmann auf den Plan gerufen. Lange tappt er im Dunkeln, durchforstet Kneipen, Privathaushalte und Ladenlokale. Nicht nur die dünne Spurenlage macht ihm zu schaffen, auch das chronische Schweigen, das in Nachkriegs-München im Jahr 1948 vorherrscht, behindert die Aufklärung des Falles enorm.
Immer tiefer gerät Lehmann in einen Sumpf aus verdeckter Schuld und einem undurchsichtigen Netz aus Loyalitätsgefühlen. Und immer wieder wird er dabei auch mit seiner persönlichen Geschichte konfrontiert. Der andere, Lehmanns Antagonist, wird spät erst sichtbar. Spürbar aber ist er fast die ganze Zeit.
Es ist ein Ritt durch sumpfiges Gelände, auf den der Autor seine Leser in diesem Roman mitnimmt. Und zwar ein Ritt von knapp 500 Seiten. Detailverliebt führt Ohm einen in zähem Tempo an die Lösung des Falles heran. Auch die Entscheidung, die Handlung in Form eines Bewusstseinsstromes aus Sicht des Protagonisten zu erzählen, fördert nicht gerade den Lesefluss.
Deutliche Empfehlung
Hinzu kommen lautmalerisch aufgezeichnete Dialekte in der direkten Rede, die es notwendig machen, sich erst einmal an den Stil zu gewöhnen. Nicht selten musste ich einen Absatz mehrfach lesen, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Nichts desto trotz möchte ich an dieser Stelle eine deutliche Empfehlung aussprechen. Die genaue Recherche und die kluge psychologische Figurenzeichnung machen „Wolfsstadt“ zu einem Hochgenuss. Vorausgesetzt, man ist bereit, sich dieser sprachlichen Herausforderung zu stellen.