Die Tochter von Anna und Tobias ist anders als andere. Sie kommt mit einer Behinderung zur Welt und schnell wird klar: Freya wird sich nicht so entwickeln wie andere Kinder. Sie wird pflegebedürftig bleiben, nicht sprechen und auch auf andere Art und Weise nur schwer kommunizieren können. Die frisch gebackenen Eltern stürzt die Situation in eine große Krise.
Alles hätte so schön sein können: ein gemeinsames Leben auf dem Land, berufliche Selbstverwirklichung und eine eigene, glückliche Familie. Als Anna und Tobias ihre Tochter Freya bekommen, versuchen sie ihre Pläne ungeachtet der nicht einkalkulierten Belastung durchzuboxen. Sie ziehen nach Frankreich, kaufen ein stark baufälliges Haus und bangen um die Kompositionsaufträge von Tobias, durch die endlich Geld in die Kasse kommen soll.
Emotionale Überforderung
Doch beide sind mit der Behinderung von Freya und dem daraus resultierenden Emotionschaos maßlos überfordert. Schließlich diskutieren sie sogar über die Möglichkeit, die Tochter in fremde Hände zur Pflege zu geben. Eine Zerreißprobe, unter der auch die Ehe zusammenzubrechen droht.
In ihrem Roman „Ziemlich nah am Glück“ nimmt sich die Autorin Saira Shah eines Tabuthemas an. Nicht die Behinderung schockiert beim Lesen, auch wenn der Schmerz der Eltern nachvollziehbar ist, sondern die schonungslose Darlegung der Konflikte mit der Situation seitens der Eltern geht unter die Haut. Denn hier wird nichts beschönigt, ganz im Gegenteil.
Suche nach Muttergefühlen
Anna reibt sich auf zwischen der Verantwortung und dem Wunsch, als Mutter nicht versagen zu wollen, und ihrer Suche nach den Muttergefühlen, die ihr phasenweise abhandenkommen. In großer Not lässt sie zwischenzeitlich sogar ihr Kind zurück und flüchtet in die alte Heimat.
Dort erkundigt sie sich nach Wegen, die Tochter abgeben zu können. Und landet am Ende doch wieder bei ihrer kleinen Familie, weil sie in letzter Konsequenz nicht dazu in der Lage ist, Freya aus ihrem Leben zu lassen.
Eigene Erfahrungen
In dem Buch verarbeitet Saira Shah auch eigene Erfahrungen. Sie weiß, wovon sie spricht. Gerade weil der Roman Platz lässt für all die Zweifel, Ängste und auch für die Wut der Figuren, wirkt er in meinen Augen so authentisch. Zu keinem Zeitpunkt wird die Daseinsberechtigung des Kindes infrage gestellt.
Es geht vielmehr darum, Menschen in ihrer Überforderung zu zeigen. Und ihren ganz persönlichen Weg, gemeinsam zurück in den Alltag zu finden – den ganz normalen Wahnsinn eben. Gespickt mit liebenswerten Nebenfiguren und einer wunderbaren Kulisse in Frankreich macht es trotz des schweren Themas großen Spaß, dieses Buch zu lesen.